Seit Fukushima ist alles anders. So sagt man. Ob das stimmt, wird sich erst noch herausstellen. Eins immerhin hat sich tatsächlich verändert, seit in dem japanischen Kernkraftwerk der Kampf gegen die Kernschmelze tobt: Unter Kontrolle kommt früher ins Kino.Geplant war ursprünglich, die Dokumentation von Volker Sattel im Herbst anlaufen zu lassen. Die Ereignisse auf der anderen Seite des Erdballs und die Diskussionen hierzulande aber haben dem Film eine neue Dringlichkeit verschafft: Wenn jetzt die Kamera in aller Seelenruhe durch die Kontrollräume deutscher Atommeiler streift, wenn sie verträumt über die unter Wasser schillernden Brennstäbe fährt, dann haben sich die Bilder verändert. Nun spiegeln sie nicht mehr die Faszination von einer geheimnisvollen Technik, sondern verstärken noch das Gefühl der Bedrohung: Kann es sein, fragt sich der Betrachter unwillkürlich, dass unsere so sicheren Kraftwerke veraltet wirken, als stammten sie aus einem billigen Science-Fiction-Film?Die Realität hat das Kino überholt. Eine Erfahrung, die auch Regisseur Sattel mit einem gewissen Unwohlsein zurücklässt. Dass sein Film, der eigentlich „das Spannungsfeld zwischen einer einstigen Utopie und deren Hinterlassenschaften“ beleuchten sollte, plötzlich eine schreckliche Aktualität gewonnen hat, „das hat etwas Unheimliches“, sagte er nach einer Vorführung kürzlich in Berlin.Nähert sich Unter Kontrolle seinem Gegenstand doch mit größtmöglicher Neutralität und ohne ideologische Scheuklappen: In ruhigen Einstellungen wird die sterile Welt der Atomindustrie erforscht, zu Wort kommen Betreiber und Mitarbeiter, aber nur wenige Kritiker. Sattel zeigt Männer in blauen Overalls, die gelangweilt ihre Routine vor Wänden mit verwirrend blinkenden Lämpchen abspulen.Trotzdem stellt sich, auch ohne die Katastrophe in Japan im Hinterkopf, eine Erkenntnis ein: Die Kernenergie steckt in der Sackgasse. Im Kühlturm des niemals in Betrieb genommenen Schnellen Brüters in Kalkar dreht sich ein Kettenkarussell, kein Kommentar ist nötig, um zu sagen: Die Atomkraft ist eine Technologie aus einem untergegangenen, fortschrittsgläubigen Zeitalter, sie ist ein nie eingelöstes Versprechen auf eine Zukunft, die längst verloren ist. Volker Sattel hat einen Abgesang gedreht. Auch wenn er das eigentlich nicht gewollt hat. Aber nach Fukushima ist eben alles anders. Thomas WinklerDOKUMENTARFILM VON VOLKER SATTEL, DEUTSCHLAND 2011, 98 MINUTEN, KINOSTART: 26. MAI


Der Biber | Was passiert, wenn Mel Gibson schwermütig wird, eine Handpuppe mit Nagezähnen in einer Mülltonne auftaucht und Jody Foster dabei Regie führt? Der Dreh eines originellen Melodramas über die Volkskrankheit Depression! Walter Black war der Boss einer Spielzeugfirma, verheiratet, alles in bester bürgerlicher Ordnung. Jetzt ist die Fassade zerbrochen, die Gattin entfremdet und so verwirrt wie die Mitarbeiter. Keiner kann den Abgrund seiner seelischen Erkrankung verstehen. Walter Black leidet, verweigert die Therapie. Schließlich verstummt er und überlässt das Reden einem zufällig gefundenen Plüschbiber. In einer langen Reihe von Hollywoodwerken über sogenannte Verrückte – von Mein Freund Harvey und Rain Man bis Durchgeknallt oder Shutter Island – glänzt diese dritte Spielfilmregie der Schauspielerin. Keine Verharmlosung, keine Tabuisierung. Walter Black muss seine Verwandlung vom witzigen Manager zum isolierten Depressiven ertragen. Bis Gibson mit einem Plüschvieh um sein Leben kämpft: unvergesslich. jv

USA 2011 R: JODY FOSTER. D: MEL GIBSON, ANTON YELCHIN, JENNIFER LAWRENCE, JODY FOSTER, 91 MIN., KINOSTART: 19. 5. 11


Polnische Ostern | Auf Werner Graboschs Kaminsims stehen die Urnen seiner Frau und Tochter. Als einziger Trost ist dem Bäckermeister seine Enkelin geblieben, aber die soll er nun an den Vater des Kindes abtreten. Der Alte kann es nicht fassen, dass die Behörden mitspielen: Wenn das Mädchen künftig in Polen aufwachsen soll, dem Land der Autoschieber, Bettler, Prostituierten und Erzkatholen – na dann gute Nacht, Marie. Augenzwinkernd spielt Ziemnicki mit solchen Klischees und Vorurteilen. Zwar wirken nicht alle Wendungen glaubwürdig, dafür aber hinreißend komisch. Das verdankt die Tragikomödie Henry Hübchen, der als grantiger, verbitterter, bauernschlauer Alter zur Hochform aufläuft wie in Alles auf Zucker. Der Dickkopf fasst einen Plan, wie er die Kleine aus den Klauen der unliebsamen neuen Familie befreien könnte. Ausgerechnet an Ostern macht er sich in seinem alten Auto auf den Weg über die Grenze. Aberwitzige Abenteuer sind programmiert, mitunter lacht man Tränen. kl

D/PL 2011. R: JAKOB ZIEMNICKI. D: HENRY HÜBCHEN, GRAZYNA SZAPOLOWSKA, PARASCHIVA DRAGUS, U.A., 94 MIN., KINO-START: 12. 5. 11


Wer ist Hanna? | Willensstarke Teenager gehören zum Familienalltag. Ist Pappi jedoch allein erziehender Agent in einer verschneiten Blockhütte und die jugendliche Rebellin des Haushalts ein Genexperiment mit Survivaltraining, dann geraten nicht nur Emotionen außer Kontrolle. Als feindliche Helikopter über dem Winterwald kreisen, bricht die Heldin auf, verlässt ihr Heim und die vertrauten Wölfe. Ein hypermodernes Rotkäppchen auf der Suche nach ihrer Identität. Und nach der ebenso verlogenen wie tödlichen Exkollegin des Vaters. Der Weg des Mädchens in die Zivilisation wird zum Roadtrip zwischen Flucht und Angriff, samt neuen Freunden und erstem Kuss; eine rasante Reise durch die Wüsten, Bars, Campingplätze Marokkos bis zu Berliner Stadtlandschaften. Im Spreepark mit den Skulpturen verwitternder Riesentiere kommt es zum Showdown. Eine muss im Wolfsrachen enden. Wer ist Hanna?, auch gedreht in Finnland, den deutschen Alpen und dem Hamburger Safari-Sex-Club, ist ein Action Movie als Märchen vom Erwachsenwerden. Jason Bourne für Frauen. jv

USA/GB/D 2011. R: JOE WRIGHT. D: SAOIRSE RONAN, ERIC BANA, CATE BLANCHETT, 111 MIN., KINOSTART: 26. 5. 11