Mit einem Film über die Welt von Sexarbeiterinnen, beschließt der Filmemacher Michael Glawogger seine Trilogie über Arbeit und Leben in der Welt, in der wir leben. Ein Gespräch über den Lebenswillen und die Schönheit des Menschen und warum das Offensichtliche nicht gezeigt werden muss

ver.di PUBLIK | Herr Glawogger, lassen Sie uns über Arbeit sprechen.

MICHAEL GLAWOGGER | Aber gern, solange es nicht in Arbeit ausartet.

ver.di PUBLIK | Ihr neuer Film Whore's Glory, die Ehre der Hure, ist der Abschluss einer Trilogie über verschiedene Arbeitswelten, die Sie 1998 mit Megacities begonnen und 2005 mit Workingman's Death fortgesetzt haben.

GLAWOGGER | Anlässlich von Workingman's Death sollte ich auch schon ständig über Arbeit sprechen. Da habe ich immer gesagt: Ich habe diesen Film gemacht, weil ich selber noch nie vernünftig gearbeitet habe [lacht]. Aber alle Filme, auch Whore's Glory, erzählen natürlich nicht nur von der Arbeit. Es ist auch eine Trilogie über den Lebenswillen des Menschen. Mit ein wenig Pathos würde ich sagen: Es geht mir darum, die Schönheit des Menschen zu zeigen, und das, was er bereit zu tun ist, um zu überleben. Deshalb sind diese drei Filme hoffentlich auch eine die Dekaden umspannende Trilogie über die Welt, in der wir leben.

ver.di PUBLIK | Diese Welt erklären Sie in Whore's Glory nahezu ausschließlich über die Arbeit der Prostituierten in Thailand, Bangladesh und Mexiko. Deren Privatleben oder Vorgeschichte, Familien oder Freizeit kommen nicht vor.

GLAWOGGER | Nicht ganz, in Thailand gehen die Frauen nach der Arbeit in eine Bar und mieten sich selber Animateure, um sich von denen unterhalten zu lassen. Aber es stimmt: Ich habe mich sehr auf die Arbeit der Prostituierten konzentriert. Ich habe wohl versucht, einen gewissen Sog zu erzeugen, der einen in diese Welt zieht. Ich habe versucht, die Körperlichkeit dieser Arbeit spürbar zu machen.

ver.di PUBLIK | Ein anderer Dokumentarfilmer hätte wahrscheinlich Zahlen zum Thema eingeblendet, Sozialarbeiterinnen befragt, hätte die Vergangenheit der Frauen ausgeleuchtet und versucht die Hintergründe der Prostitution zu erklären.

GLAWOGGER | Das hat mich nicht interessiert. Da käme keine große Erkenntnis zustande. Denn die eine prostituiert sich, weil sie es will, die andere, weil sie das Geld braucht, die dritte, weil sie dazu gezwungen wird. Für den Alltag, den die Frauen dann leben, macht das keinen Unterschied. Mich hat viel mehr interessiert, die täglichen Rituale der Sexarbeit zu zeigen, als dem Zuschauer das Offensichtliche zu erklären.

ver.di PUBLIK | War es Zufall, dass Sie zum Abschluss einer Trilogie über Arbeitswelten ausgerechnet das sogenannte "älteste Gewerbe der Welt" als Thema ausgesucht haben?

GLAWOGGER | Nein, das hat sich fast zwangsläufig ergeben aus der Arbeit an den beiden anderen Filmen. Auch dort kam die Sexarbeit immer wieder vor, am Rande oder in einzelnen Episoden. Da habe ich gemerkt, dass diese Arbeit sehr weitreichend von existentiellen Dingen erzählt: Vom Status der Frauen in unserer Welt, vom Verhältnis der Geschlechter untereinander, was Sexualität in einer Kultur bedeutet, und natürlich, wie wichtig Religion ist.

ver.di PUBLIK | Hat Sie das überrascht während der Dreharbeiten, welch eine wichtige Rolle der Glaube im Leben der Frauen spielt?

GLAWOGGER | Ja, das hatte ich so nicht erwartet. Aber das habe ich gerne aufgenommen. Im Buddhismus beten die Frauen: Lieber Gott, gib mir bitte viele Kunden. Im islamischen Bangladesh sagt die Hure: Ich blase nicht, denn mein Mund hat die Suren des Koran gesprochen. Und in Mexiko macht der vom Tod faszinierte Katholizismus das Leben erträglich. Je nach Religion ändert sich die Haltung zur Arbeit.

ver.di PUBLIK | Allerdings scheint das älteste Gewerbe der Welt, zumindest in Ihrem Film, nahezu unberührt von modernen technischen Entwicklungen zu sein. In der Prostitution, die Sie in Ihrem Film darstellen, hat die digitale Revolution noch nicht stattgefunden.

GLAWOGGER | Es gibt zumindest Handys überall. Und natürlich läuft die Prostitution, vor allem in der westlichen Welt, heutzutage in großen Teilen übers Internet ab. Dazu habe ich sehr viel recherchiert, aber das ist kein filmisch interessanter Ort: Ich hätte nicht gewusst, was ich da zeigen soll. Die digitale Prostitution entzieht sich sozusagen der filmischen Umsetzung. An diesen drei Orten, an die ich mit der Kamera gegangen bin, hat mich auch fasziniert, dass dort schon das Erscheinungsbild sehr viel über die Strukturen des Geschäfts aussagt. In Thailand sitzen die Frauen in einer Art Aquarium hinter Glas. In Bangladesh ist das Bordell ein verwinkeltes Labyrinth, in dem Leben und Arbeit eins ist. In Mexiko fahren die Freier durch die Straßen des Hurenghettos, immer in Bewegung.

ver.di PUBLIK | Ihnen wird gerne vorgeworfen, dass Ihre Filme keine dezidierte Haltung einnehmen.

GLAWOGGER | Ich betrachte den moralischen Zeigefinger als natürlichen Feind der Kunst. Wen würde es interessieren, wenn ich sage, Prostitution ist gut oder böse? Ich werde auch oft gefragt, ob die Welt eine bessere wäre, wenn es keine Prostitution gäbe. Das kann ich nur mit Nein beantworten. Das ist offensichtlich etwas, was in uns steckt. Wenn Sexualität nicht befriedigt wird, muss es dafür Ventile geben. Warum gibt es Prostitution in allen Ländern und Kulturen? Warum gibt es sie selbst dann, wenn sie unter drakonischen Strafen verboten ist?

ver.di PUBLIK | Muss man die Frage vielleicht anders herum stellen: Gäbe es in einer besseren Welt keine Prostitution mehr?

GLAWOGGER | Eine bessere Welt gibt es nicht. Es gibt nur die, die wir haben. Und die ist in meinem Film zu sehen.

INTERVIEW: Thomas Winkler


Der Filmemacher und sein Werk

Michael Glawogger, 1959 in Österreich geboren, studierte in San Francisco und Wien und ist mittlerweile womöglich der vielseitigste Regisseur aller Zeiten. Er hat lustige Komödien (Nacktschnecken) gedreht, tragische (Slumming) und gruselige (Ameisenstraße). Er hat auch Literatur verfilmt (Das Vaterspiel nach Joesef Haslinger), aber am bekanntesten geworden ist er durch seine Dokumentarfilme.

Mit Whore's Glory widmet er sich zum dritten Mal dem Thema Arbeit: In Megacities (1998) zeigte er, mit welcher Kreativität sich die Ärmsten der Armen in Millionenstädten wie Bombay oder New York Jobs erfinden, um zu überleben. In Workingman's Death (2005) widmete er sich der gefährlichen, extrem körperlichen Arbeit in Bergwerk, Stahlwerk oder Schlachthof.

In Whore's Glory nun nimmt er den Zuschauer mit ins sogenannte älteste Gewerbe der Welt, in Bordelle und Rotlichtbezirke in Thailand, Bangladesh und Mexiko. Mühevoll hat er das Vertrauen seiner Protagonistinnen erworben und sie trotzdem für jede Szene, jedes Interview bezahlen müssen. Es hat sich gelohnt: Niemals zuvor ist jemand mit einer Kamera so nah herangekommen an eine oft verborgene Welt. Er ist dabei, wenn Frauen verkauft werden oder wenn Geschäftsleute einen Karaoke-Abend mit käuflicher Damenbegleitung schmeißen. Und er sitzt mit auf der Couch, auf der sich die Frauen nach getaner Arbeit mit Crack betäuben. Vor allem aber: Glawogger verherrlicht nicht, was er sehen durfte. Und er verurteilt es nicht.