Lucas Zeise ist freier Autor und Finanzkolumnist der Financial Times Deutschland

Ratlosigkeit und Streit unter den Konservativen. Frau Merkel hat große Mühe, die Abweichler aus den eigenen Reihen im Euro-Streit auf Regierungslinie zu bringen. Es ist kein Vergnügen, das mit anzusehen. Denn die Regierungslinie ist schlechte Politik. Sie wird den Euro nicht retten. Noch schlimmer ist freilich die Haltung der Opponenten. Den Naiven unter ihnen könnte man vielleicht verzeihen, wenn sie auf falschen Prinzipien - die Notenbank darf keinen Staatskredit geben - herumreiten oder früher längst vergessene - das Budgetrecht des Parlaments - ganz neu entdecken.

Nicht zu den Naiven zählt allerdings der Bundespräsident. Christian Wulff wusste, was er tat, als er kalt lächelnd, in Lindau vor Nobelpreisträgern redend, Regierung und Zentralbank vorwarf, gegen die bei der Schaffung des Euro "vereinbarten Grundsätze" zu verstoßen. Wulff hat formal ja Recht. Die Hilfsmaßnahmen der Regierungen und der Zentralbank waren bei der Schaffung des Euros nicht vorgesehen. Der Euro ist so konstruiert worden, dass er nicht funktionieren kann. Auf Druck der damaligen deutschen Regierung Kohl und der Bundesbank unter ihrem Präsidenten Hans Tietmeyer, der heute der Arbeitgeber-PR-Organisation "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" vorsteht, wurde eine schlanke, neoliberale und unsolidarische Währungsunion geschaffen. Die beteiligten Staaten sollten im Standortwettbewerb um den Zufluss von Kapital buhlen. Keinesfalls sollten starke Länder die Schwachen stützen. Niemals sollte ein Land für die Schulden des anderen haften. Niemals auch sollte eine koordinierte Wirtschaftspolitik stattfinden. Nur zu hohe Staatsverschuldung wurde geächtet im mittlerweile notorischen Stabilitätspakt.

Dass das nicht funktioniert, haben die Regierungschefs der Euro-Länder, ja hat sogar Frau Merkel mittlerweile begriffen. Nach viel zu langem Zögern wurden Garantien, Kredite und Hilfsfonds für Griechenland und die anderen Länder beschlossen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen im Zuge der Finanzkrise in Schwierigkeiten gerieten und am internationalen Finanzmarkt kein Geld mehr zu halbwegs akzeptablen Bedingungen auftreiben konnten. Nun haben wir die von den Konservativen so geschmähte Transferunion in Europa.

Wir haben sie nicht deshalb, weil die Bürger oder die Politiker das wollten, sondern weil finanzielle Transferleistungen in einer Währungsunion auf Dauer unvermeidlich sind. In einem gemeinsamen Markt mit gemeinsamer Währung gelten die Gesetze der Konkurrenz noch gnadenloser als zuvor. Die Starken werden stärker und die Schwachen schwächer. Letztere können sich nicht mehr hinter einer niedrig bewerteten Währung verstecken. Die auseinander driftende Entwicklung im Euro-Gebiet war vorgezeichnet. Es ist ganz ähnlich gekommen. Die Unternehmen aus den Kernländern Europas, vor allem die deutschen, eroberten immer größere Teile der einst geschützten Heimatmärkte in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. In normalen Währungsgebieten gleichen staatliche Institutionen die divergierende Entwicklung der Regionen mit gemeinsamen Steuern, öffentlichen Aufträgen und Subventionen sowie Leistungen der Sozialkassen einigermaßen aus. Das sind die Transferleistungen, die in Euro-Land fehlen. Die aber müssen kommen, soll die Währungsunion überleben.

Mit den bisherigen Beschlüssen der Regierungschefs wird das nicht zu machen sein. Die bisherigen Hilfsmaßnahmen für die Schuldenproblemländer sind nur als Überbrückung gedacht und geeignet. Sie dienen vor allem dazu, die Gläubiger, die Banken und Versicherungen, vor Verlusten zu schützen. Als dauerhafte Maßnahme fällt unseren Regierenden nur Zwangssparen ein. Das funktioniert selbst dann nur selten, wenn das mit solchen Auflagen beglückte Land eine eigene Währung hat, die es abwerten kann. In Griechenland und anderswo im Euro-Gebiet kann es und wird es nicht funktionieren.

Gemeinsame Wirtschaftspolitik, das Stichwort, das Merkel vom französischen Staatspräsidenten Sarkozy übernommen hat, heißt nun nichts anderes, als dass das deutsche Spardiktat in alle Euro-Länder transferiert wird. Sie dürfen die unsinnige deutsche Schuldenbremse auch in ihre Verfassungen hineinschreiben. Nicht einmal das Einfachste, ein gemeinsamer Auftritt der Euro-Länder gegenüber dem Finanzmarkt zu gleichen Zinssätzen, wird erlaubt.

Unter diesem Regime wird die Währungsunion nicht überleben. Wir bräuchten das nicht einmal zu bedauern. Wenn der Tod des Euros nicht üble ökonomischen Folgen, nämlich eine schwere Rezession zur Folge haben würde.

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Der Euro ist so konstruiert worden, dass er nicht funktionieren kann