Seit die Immobilienblase 2009 geplatzt ist, hat die Regierung in Bukarest in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein beispielloses Sparprogramm durchgesetzt. Dabei zeigt eine neue Studie, dass gerade Frauen zu den Krisenverlierern zählen: Nach der Phase des Aufschwungs durch den EU-Beitritt im Jahr 2007 rutschen jetzt viele Rumäninnen zurück in Armut und Perspektivlosigkeit.

Unter dem Minimum

Cristina Senos steht wie immer um halb sechs auf, bereitet das Frühstück für ihre Kinder und macht sich schnell auf den Weg zur Grundschule Nummer 1. Dort muss die 37-jährige Lehrerin erst die Geheimnisse der rumänischen Rechtschreibung und Grammatik erklären, später stehen Mathe und Musik auf dem Lehrplan der Drittklässler. Das neue Schuljahr hat vor einigen Wochen begonnen, die meisten Kinder freuen sich auf den Unterricht. Auch Cristina Senos macht ihre Arbeit Spaß, doch seit gut einem Jahr reicht ihr Geld nicht mehr für das Existenzminimum. "Dass wir von diesen Gehältern die Wohnung finanzieren sollen und es auch noch fürs Essen reichen soll, würde ich aberwitzig finden, wäre es nicht so unverschämt", empört sie sich.

Wie Cristina Senos geht es seit Juni 2010 vielen Rumäninnen. Der Aufschwung endete abrupt. Erst stieg die Arbeitslosigkeit, das Haushaltsdefizit wuchs an, dann beschloss der Staat, einen 20-Milliarden-Euro-Notkredit beim IWF zu beantragen. Um den strengen Auflagen des IWF gerecht zu werden, ohne auf die Einkommenssteuer von nur 16 Prozent verzichten zu müssen, haben Präsident Traian Basescu und seine Mitte-Rechts-Partei PDL ein enormes Sparpaket eingeführt. Sämtliche Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor wurden um ein Viertel gekürzt, die Mehrwertsteuer auf 24 Prozent erhöht, zudem strich das Kabinett Sozialleistungen. Viele Krankenhäuser und Schulen wurden geschlossen.

"Die Maßnahmen waren ungerecht und betreffen in erster Linie die Frauen, die im öffentlichen Sektor überrepräsentiert sind", sagt Rovana Plumb, die im Europäischen Parlament die rumänischen Sozialdemokraten vertritt. Tatsächlich verdienen die Beschäftigten etwa im Bildungssektor, wo zu 70 Prozent Frauen arbeiten, laut Angaben des rumänischen Statistikamtes im Schnitt nur noch 300 Euro im Monat. Im Gesundheitswesen mit einem Frauenanteil von 80 Prozent liegt der Durchschnittslohn mit 277 Euro noch niedriger. "Die Gehälter waren nie üppig", sagt die Grundschullehrerin Cristina Senos, "doch vor den Sparmaßnahmen haben sie sich zumindest allmählich ein bisschen verbessert".

14 Euro Staatshilfe im Monat

Indessen rechtfertigt die Regierung die Kürzungen mit dem Hinweis auf Effizienz und dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Erst vor kurzem erklärte Präsident Traian Basescu den Sozialstaat für gescheitert - nicht nur in Rumänien, sondern in ganz Europa. "Solche radikalen Einschnitte würde sich keine westeuropäische Regierung zutrauen", kommentiert Adrian Birea, der stellvertretende Vorsitzende von Sanitas, einem Gewerkschaftsverband, der über zwei Drittel des Gesundheitspersonals vertritt. Seit 2010 hat Sanitas mehrmals gegen Gehaltskürzungen und Schließungen von Krankenhäusern mobilisiert, doch die Demonstrationen vor der Regierungszentrale in Bukarest haben bisher wenig gebracht. "Viele Mitglieder sind verzweifelt und denken immer öfter daran, sich Arbeit in Westeuropa zu suchen", sagt Birea. In den letzten Jahren haben mehr als 25 Prozent der Ärztinnen und Krankenschwestern Rumänien verlassen, um ihren Beruf in anderen EU-Ländern auszuüben.

Familienorientierte Sozialleistungen wie das Elterngeld wurden in Rumänien stark gekürzt oder ganz gestrichen. Die Staatshilfe für alleinerziehende Erwachsene, deren Empfänger zu 80 Prozent Frauen sind, sank von 100 auf 14 Euro im Monat. Mihaela Miroiu, Professorin für Frauenstudien an der Bukarester Politikwissenschaftsschule: "In einem Land wie Rumänien, wo traditionelle Familienstrukturen parallel zum Erbe des Staatssozialismus existieren, treffen die Sparmaßnahmen Frauen in doppelter Hinsicht: Als Mütter und als Beschäftigte." Silviu Mihai