Hans-Ulrich Brandt: Ein weltpolitisches Tagebuch unserer Zeit | Früher gab es sie noch, die Chronisten. Mönche etwa, die des Lesens und Schreibens mächtig waren und in ihren Zellen festhielten, was vor der Klostermauer geschah. Der Autor Hans-Ulrich Brandt hat vor ein paar Jahren begonnen, jeden Tag ausgewählte Nachrichten und Ereignisse zu notieren. Erschienen ist bereits sein Tagebuch 2010, jetzt gerade der zweite Band über die erste Jahreshälfte 2011. In komprimierter Form, und man staunt nicht selten, was so alles in dieser Welt an einem Tag passiert. Wie viele Menschen durch Gewalt, Kriege, Epidemien oder Naturkatastrophen sterben. Man ist geradezu froh, wenn man erfährt, dass die Nationalparks Bayerns und Indiens kooperieren wollen. Oder von Menschen wie dem 110-jährigen Malaysier liest, der per Zeitung noch eine neue Frau gefunden hat. pewe

Edition Lithaus, Berlin 2011, 261 Seiten, 16,90 €


James Wood: Die Kunst des Erzählens | Wie schaffen es Autoren, dass wir ihnen vertrauensvoll folgen und manchmal meinen, eine fiktive Figur besser zu kennen als den eigenen Ehemann? Welche stilistischen Tricks wendet der eine Schriftsteller gekonnt an, während der andere in ermüdenden Ästhetizismus verfällt? Wie gelingt es Literatur, uns über das Leben zu unterrichten? Und was sagt uns das über das Leben? Wunderbar leichtfüßig, dennoch differenziert, mit Beispielen von Jane Austen bis John Updike enthüllt uns James Wood, Kritiker des New Yorker und Harvardprofessor, was wodurch ausgelöst wird, wenn wir anspruchsvolle Literatur lesen. Dabei verficht er einen literarischen Realismus, dessen Prosa bestechend konkret, höchst verschwenderisch und stilistisch schwer reproduzierbar sein möge. Die Leser seien zu verteidigen gegen einen kommerziellen Realismus, der ihnen als Markenartikel der Erzählkunst stapelweise entgegenfällt. Und der „wahre“ Autor müsse mit jedem Buch Lebendigkeit schaffen, als drohe das Leben selbst zur Konvention zu werden. hik

Rowohlt Verlag 2011, Ü: Imma Klemm, Barbara Hoffmeister 240 S., 19,90 €


Sándor Márai: Die Schwester | Dieser 1946 erstmals in Ungarn veröffentlichte Roman erzählt vom Schmerz, von den Gefahren der Liebe und der Heilung. Eine rätselhafte Krankheit reißt einen berühmten Konzertpianisten aus seinem Leben – und seiner Kunst. Mit großer Intensität ist der kleine Kosmos eines Krankenlagers beschrieben, als eine Zone zwischen Leben und Tod, wo der Wahrheit nicht mehr zu entkommen ist. Die faszinierenden Gespräche, die der Kranke mit seinen Ärzten führt, erkunden die Bedingungen der Heilung. Kenntnis erhalten wir von seiner Innenwelt durch Aufzeichnungen, die er hinterlassen hat. Nach dem Tod des Pianisten sind sie dem Icherzähler des Romans übergeben worden und in dessen Vorrede zu den Aufzeichnungen scheint Sándor Márai selbst zu sprechen über die Grenzen seiner Kunst: „Auf die Frage nach dem Zusammenhang von Leben und Tod kann auch dieses Manuskript nicht antworten, aber gibt es überhaupt eine andere Antwort als die Demut, mit der wir unser Schicksal annehmen sollen?“ klix

Roman, aus dem Ungarischen von Christina Kunze, Piper Verlag, München, 2011, 277 S., 18,99 €