Die Evangelische Kirche Deutschlands verbietet ihren Beschäftigten per Kirchengesetz zu streiken. In Magdeburg forderten 1500 Mitarbeiter/innen der Diakonie dennoch ein Recht auf Streik und Tarifverträge

Auch er darf nicht streiken - der Sündenfall der Kirche

Über 1000 Hände mit Äpfeln darin ragen auf dem Magdeburger Domplatz in die Luft. Auf ein Zeichen hin wandern die Äpfel in den Händen zu über 1000 Mündern, die kraftvoll zubeißen. Grund für die ungewöhnliche Aktion: der erste bundesweite Protest der Diakonie-Beschäftigten. Der Sündenfall aus der Bibel wird nachgestellt. Doch wo ist hier das Paradies? Und wer wird vertrieben?

Die Arbeit bei einer kirchlichen Einrichtung ist jedenfalls alles andere als paradiesisch. Die 1500 anwesenden Beschäftigten der Diakonie kämpfen für Tarifverträge und das Streikrecht. Aus dem ganzen Land sind sie angereist, um auf ihre teils prekäre Situation aufmerksam zu machen. Schon im Bus aus Berlin hat Eva Heymer vom ver.di-Fachbereich Wohlfahrt und Kirchen, die die Fahrt organisiert, angekündigt: "Auf dem Domplatz werden Äpfel ausgeteilt, esst diese bitte nicht! Was wir damit machen, erklären wir vor Ort." Im gleichen Bus sitzt auch Katrin*, die in einer Berliner Diakonie-Station arbeitet. Sie war in ihrem Betrieb in der Mitarbeitervertretung aktiv, hatte versucht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dann wurde sie fristlos entlassen. Für ihre Kolleg/innen war klar: Der Arbeitgeber statuiert ein Exempel.

Zwar war Katrin über den Klageweg erfolgreich und ist nach einem Jahr an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, nur geändert haben sich die Arbeitsverhältnisse nicht. In den letzten Jahren musste sie wie viele andere Diakonie-Beschäftigte die Folgen von Kostendruck, Konkurrenz und Wettbewerb ausbaden: die flächendeckende Abkehr vom Tarifniveau des öffentlichen Dienstes, Lohndrückerei, schlechtere Arbeitsbedingungen, Ausgliederungen und Leiharbeit. "Es gibt keine Gerechtigkeit im Betrieb. Die Bezahlung für unsere Verantwortung ist nicht angemessen. Außerdem herrscht permanenter Personalmangel. Ich bin froh, wenn ich mal ein Wochenende frei habe", sagt Katrin. Die Kirchenobersten sind nicht gewillt, an diesen Zuständen etwas zu ändern. Ihre inneren Angelegenheiten, zu denen auch das Arbeitsrecht in Teilen zählt, regeln die Kirchen in Deutschland selbst. Das steht ihnen laut Grundgesetz zu. Die Evangelische Kirche macht nun die bisherige Praxis des Streikverbots zum Gesetz im Kirchenarbeitsrecht, so lautet der Beschluss der Magdeburger Synode.

Die Beschäftigten haben im Vorfeld einiges bewegt, um in Magdeburg dabei sein zu können. Schichten wurden getauscht, einige bummeln Überstunden ab, wieder andere haben sich einen Tag Urlaub genommen. Die Beschäftigten der Diakonie haben außerdem Unterschriften gesammelt, die sie nach der Kundgebung direkt an Vertreter der Synode, die in nicht allzu großer Entfernung vom Domplatz im Maritim-Hotel tagt, überreichen.

Kann Gewerkschaft Sünde sein?

Das Streikverbot ist das zentrale Thema auf dem Domplatz. Dass sich das Recht auf Streik aus dem Grundgesetz ableitet und damit ein Grundrecht ist, scheint die Arbeitgeber nicht zu interessieren. "Wenn wir heute nicht mitkämpfen, werden wir irgendwann wie früher mal keine Rechte mehr haben", befürchtet Jens Hahn, der ebenfalls aus Berlin angereist ist. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske zieht oben am Rednerpult einen Vergleich zum ADAC, der dann ja einfach das Tempolimit für seine Mitglieder aufheben könnte - ebenso absurd.

Und sie streiken doch

Die Empörung in Magdeburg ist groß, noch größer ist an diesem Tag aber die Hoffnung. In Hamburg wurden Ende Juli beim ersten diakonischen Krankenhaus in der Geschichte der Bundesrepublik nach erfolgreichem Streik Tarifverträge durchgesetzt - trotz der Versuche der Diakonie, die Beschäftigten davon abzuhalten. Viele auf dem Domplatz sind ermutigt, sich zu wehren. Auch Katrin gefällt die Idee: "Ich würde mich freuen, wenn wir im Betrieb mal streiken. Man redet und bittet, aber nur mit Streik kann man auch was erreichen."

Weil die schwierige Situation der Beschäftigten im Rahmen einer von ver.di organisierten Protestkampagne auf breites, öffentliches Interesse gestoßen ist, sieht sich die Synode genötigt, eine Vertreterin auf die Bühne zu schicken. Die Protestierenden sind fair: Präses Katrin Göring-Eckhardt, die auch grüne Bundestagsvizepräsidentin ist, wird für ihr Erscheinen Respekt gezollt und angehört. Jedoch ihre Versuche, das Problem klein zu reden und die Beschäftigten mit Sätzen wie "Wir schauen hin, wo Regeln verletzt werden" zu besänftigen, werden mit Buh-Rufen quittiert.

"Ich bin sauer" steht auf dem Halstuch einer Demonstrantin. So geht es allen, als sich der Demonstrationszug später auf den Weg zum Tagungsort der Synode macht. Mit blassen Gesichtern warten hier erneut Göring-Eckhardt und Württembergs Landesbischof Frank Otfried July. Ein Stimmenchor "Streikrecht ist Grundrecht!" und ohrenbetäubendes Pfeifen schallen ihnen entgegen.

Mittendrin auch Katrin mit einer Vuvuzela. Unterschriftenlisten für ein Streikrecht werden den Synodalen ausgehändigt, drei als Mönche verkleidete Demonstranten überreichen Ablassbriefe "Es ist ja nicht so, dass Arbeitsrechte nicht gewährt werden..." ist noch vom Landesbischof zu hören, bevor die Beschäftigten mit Zwischenrufen unmissverständlich klar machen, dass sie sich ein Streikverbot durch die Kirche nicht bieten lassen werden. Und solange die sich weigert, Tarifverträge und die gleichen Rechte wie für andere Berufstätige gelten zu lassen, halten die Beschäftigten es mit dem 11. Gebot: "Du sollst deine Arbeitnehmer lieben wie dich selbst."

* Name geändert

Der falsche Weg

Die Evangelische und Katholische Kirche in Deutschland zählen zu den größten Arbeitgebern im Land. Mehr als eine Million Menschen arbeiten für sie. Allein die Diakonie beschäftigt rund 450.000 Mitarbeiter/innen in 27.000 Einrichtungen. Mit dem so genannten "Dritten Weg" hat die Kirche ein eigenständiges Kirchenarbeitsrecht geschaffen. Darauf basieren die Arbeitsrechtlichen Kommissionen, in denen die Arbeitsbedingungen beschlossen werden. Wer in den Kommissionen sitzen darf, mit welchen Regelungen die Mitglieder arbeiten, bestimmen Kirche und Diakonie ohne Beteiligung der Beschäftigten. Deshalb fordert ver.di seit langem die gleichen Verhandlungsbedingungen wie in weltlichen Unternehmen, einschließlich eines Streikrechts für die Beschäftigten. Im Frühjahr wird das Bundesarbeitsgericht darüber entscheiden.

www.streikrecht-ist-grundrecht.de