Wer an Kinderarbeit denkt, hat Fünfjährige im Kopf, die in Steinbrüchen oder in Bergwerksschächten herumkriechen. Der Alltag der meisten arbeitenden Kinder sieht anders aus: Fast 70 Prozent sind in der Landwirtschaft tätig, nicht selten auf den Feldern ihrer Familien. Ein knappes Viertel verdient Geld mit diversen Dienstleistungen - als Verkäuferin auf einem Markt, als Bote, Haushaltshilfe oder Schuhputzer. Die überwältigende Zahl der Kinder arbeitet im informellen Sektor. Nur etwa fünf Prozent der Mädchen und Jungen produzieren etwas für den Export. "Der allergrößte Teil der Kinder im Süden der Erde arbeitet also nicht deshalb, weil billige Produkte für den Norden hergestellt werden. Daher sollten sich Versuche, Kinderrechte durchzusetzen, nicht auf die Exportproduktion konzentrieren, rät das Deutsche Forum Kinderarbeit, zu dem sich mehrere Kinderrechtsorganisationen zusammengeschlossen haben.

Das Thema Kinderarbeit ist hochemotional aufgeladen. Doch es lohnt, die Statistiken zu studieren. Die allgemeine Vorstellung, dass sich Arbeit und Schule gegenseitig ausschließen, entspricht jedenfalls nicht der Realität. In Benin arbeiten etwa zwei Drittel der Kinder, doch zugleich gehen 80 Prozent der Jungen und mehr als 60 Prozent der Mädchen zur Schule. In Niger, Haiti oder Jemen sieht es dagegen in punkto Schulbesuch wesentlich schlechter aus, obwohl dort deutlich weniger Kinder einen Job haben. Die Annahme, dass Kinderarbeit Bildung verhindert und ein Verbot von Kinderarbeit dazu führt, dass alle Kinder im Klassenzimmer landen, ist also falsch. Viele Indizien belegen, dass Arbeit oft erst den Unterrichtsbesuch ermöglicht: Schließlich kostet die Schule in vielen Ländern Gebühren, eine Uniform, Papier und Stifte sind auch anzuschaffen.

Dass Kinder Erwachsene von ihren Arbeitsplätzen verdrängen und das Lohnniveau drücken, kommt zwar immer wieder vor, ist aber ebenfalls nicht verallgemeinerbar. Ein Großteil der Kinder wird nämlich für ihre Arbeit nicht entlohnt. In Äthiopien schuften fast alle Kinder ausschließlich in ihren Familien. Das als "Mithilfe" zu bezeichnen, ist allerdings unangebracht: Etwa die Hälfte aller fünf- bis neunjährigen Jungen ist über 40 Stunden pro Woche beschäftigt, jeder fünfte muss sogar mehr als 57 Stunden arbeiten. Auch in den meisten anderen afrikanischen Ländern arbeitet die überwiegende Zahl der Kinder für und mit der Verwandtschaft; viele Mädchen müssen im eigenen oder in fremden Haushalten auf Kinder aufpassen, putzen, kochen und Wasser heranschleppen. Für die Frage, ob Kinder auch Zeit zum Spielen und für die Schule haben, ist die Länge der Arbeitszeit ein zentraler Faktor. In Liberia oder Gambia sind die meisten Kinder weniger als zehn Wochenstunden mit Arbeit beschäftigt, in Bangladesch, Bolivien, Guatemala, Äthiopien und Somalia arbeiten sie dagegen oft so viel wie ein Westeuropäer mit Vollzeitstelle.

Die Eltern müssen besser bezahlt werden

Wer also Kinder unterstützen und ihre Rechte stärken will, muss differenziert vorgehen. Auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO konzentriert sich seit einigen Jahren darauf, vordringlich die schlimmsten Formen der Kinderarbeit wie Drogenhandel, Sklaverei, Prostitution und gefährliche Tätigkeiten zu bekämpfen. So sieht es ein Übereinkommen vor, das 1999 verabschiedet wurde und das von fast allen Ländern der Erde unterschrieben wurde. An den Verhandlungen darüber sind Kinder freilich nicht beteiligt, obwohl die internationale Kinderrechtskonvention vorschreibt, dass sie bei allen Themen, die sie betreffen, einbezogen werden sollten. Doch bei den Kongressen tauchen sie bestenfalls als niedliche Tanzgruppe auf. Uwe Wötzel von der ver.di-Bundesverwaltung meint: "Die Selbstorganisationen der arbeitenden Kinder sollten in den nationalen Gewerkschaftsbünden als Mitglieder anerkannt werden und dort nicht nur ihre Forderungen vertreten, sondern gemeinsam eine der Hauptursachen von Kinderarbeit bekämpfen: Eltern müssen endlich durch ihre Arbeit ein existenzsicherndes Einkommen erzielen, das für die Bedürfnisse der ganzen Familie ausreicht."