Ausgabe 03/2012
„Es trifft immer die mit gradem Kreuz"
„Es trifft immer die mit gradem Kreuz”
Christina Frank, ver.di-Gewerkschaftssekretärin im Einzelhandel, ist oft die erste Anlaufstelle für Betroffene, die von Rechtsanwälten im Auftrag ihrer Arbeitgeber entsorgt werden sollen. Die Opfer brauchen mehr Schutz, fordert sie
ver.di PUBLIK | Der Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist mittlerweile bundesweit bekannt, weil er Arbeitgebern hilft, Unkündbare wie zum Beispiel Betriebsräte loszuwerden. Seine Opfer kennt kaum jemand. Du kümmerst dich um viele von ihnen. Wie kommen die zu dir?
CHRISTINA FRANK | Wenn die Betriebsräte ins Fadenkreuz kommen, googeln sie, finden meinen Namen und schicken mir eine E-Mail. Die meisten, die ich im Akutfall oft und lange telefonisch berate, habe ich noch nie gesehen. Ist der Konflikt vorbei, versiegt der Kontakt, denn das Leben geht weiter. Für die Opfer dauert es aber noch Jahre, um die traumatischen Belastungen zu verarbeiten.
ver.di PUBLIK | Unter den Opfern ist auch eine Vertreterin für Medikamente, die innerhalb von zwei Jahren bereits zwölfmal gekündigt wurde. Weil ihr die zustehenden Gehaltszahlungen verweigert wurden, saß sie zwischenzeitlich mit ihrer Tochter auf der Straße. Mittlerweile ist sie arbeitsunfähig. Wie kann so etwas in einem Rechtsstaat passieren?
FRANK | Das Spezielle am Vorgehen solcher Anwälte wie Naujoks ist, dass sie eine abgestimmte Strategie gegen einen den Arbeitgeber störenden Beschäftigten auffahren. Sie treten vernetzt mit vielen spezialisierten Helfern wie Presseanwälten, Öffentlichkeitsberatern, Detekteien und Betriebsberatern an. In gewisser Weise wird mit sehr viel Geld vom Arbeitgeber eine auf lange Zeit angelegte feindselige Strategie gegen den ins Visier geratenen Mitarbeiter finanziert, nach der Devise: Koste es was es wolle - der muss weg. Mit dieser Drecksarbeit verdienen diese Leute ein Heidengeld, das die Arbeitgeber klaglos einsetzen. Es sind perfide Persönlichkeiten, die mit großen Summen skrupellos Menschen entsorgen lassen.
Der Betroffene hat im Gegenzug in unserem Rechtsstaat nur die Möglichkeit, wenn ihm das Unrecht geschehen ist und wenn es justiziabel ist, vor den Kadi zu ziehen und einen langen Weg zum Ziel der möglichen Gerechtigkeit auszuhalten. Nur gehört es zur Strategie der anderen Seite, dass sie sich auch an die Entscheidung des Gerichts oft nicht hält - den Lohn eben nicht zahlt, obwohl dass Gericht es entschieden hat. Das Machtgefälle zwischen dem solventen Arbeitgeber und dem einfachen Arbeitnehmer mit begrenzten finanziellen Spielräumen rundet das Bild ab. Schutz bietet allein die Öffentlichkeit, die man herstellen muss.
ver.di PUBLIK | Gibt es Beschäftigte, die da unbeschadet durchkommen?
FRANK | Nein, ich kenne niemanden. Selbst nach dem kürzesten Konflikt bisher - die Auseinandersetzung um die Betriebsräte einer Volksbank bei Stuttgart dauerte nur vier Monate und hatte ein gutes Ende - haben die Betroffenen viele Monate psychologische Betreuung benötigt. Es handelt sich um gezielte Körperverletzung, um schwere Traumatisierung durch systematische Demütigung, Ängstigung und Bedrohung, durch massives Zufügen von moralischem und zwischenmenschlichem Unrecht in Folge, ohne dass sich bisher je ein Staatsanwalt oder eine andere staatliche Instanz dafür interessiert.
ver.di PUBLIK | Was können die Gewerkschaften über einen Rechtsbeistand hinaus für die Betroffenen tun?
FRANK | Wir müssen professionelle Unterstützung bei diesen Problemen als eine wesentliche gewerkschaftliche Aufgabe begreifen und entsprechende Zuständigkeiten schaffen und anbieten. Es trifft doch immer Kolleginnen und Kollegen mit gradem Kreuz und klarem gewerkschaftlichem Standpunkt. Es geht gezielt ums Zerstören von Betriebsräten, die stark genug sind, die Beschäftigten vor Willkür zu schützen.
Darüber hinaus müssen wir das Thema im politischen Raum sichtbar machen und größeren gesellschaftlichen und rechtlichen Schutz dieser betrieblichen Akteure vor Übergriffen verlangen. Es muss möglich sein, dass Arbeitgeber, die Jagd auf Mitarbeiter machen, bestraft werden. Wichtig wäre dabei die Umkehr der Beweislast - nicht der Gemobbte muss beweisen, dass er gemobbt wird, sondern der Arbeitgeber muss beweisen, dass er es nicht tut.
INTERVIEW: Petra Welzel