Rolf Egging (52) ist Verpackungsmanager und engagierter Betriebsrat bei Bofrost, Europas größtem Direktvertreiber für Tiefkühlkost und Speiseeis mit rund 240 Niederlassungen in zwölf Ländern und fast 10.000 Beschäftigten. Auch in seiner Freizeit tritt Egging für seine Kolleg/innen ein. Die Firmenleitung quittierte seinen Einsatz mit einer der absurdesten fristlosen Kündigungen des Jahres 2011. Er habe am 8. Februar 2011, so die Begründung, als nicht freigestellter Betriebsrat während seiner Arbeitszeit am Computer der Arbeitnehmervertretung ein achtseitiges Papier verfasst und gesendet, mit dem er zwei betriebsbedingt gekündigte Kollegen bei ihren Arbeitsgerichtsprozessen unterstützt habe. Egging habe sich damit des Arbeitszeitbetruges schuldig gemacht und sei zudem gar nicht berechtigt gewesen, zu beraten, weil die Kollegen nicht mehr unter Kündigungsschutz standen.

Detektivische Kleinarbeit

Der Betriebsrat schöpfte Verdacht und sah sich ausgespäht. Der Betriebsrat monierte nicht nur den Zugriff im Fall Egging, sondern auch die später entdeckte Installation der Remotesoftware UltraVNC, eine Spionagesoftware. Dies sei ohne Wissen und Zustimmung des Betriebsrates "heimlich" geschehen, so der für den Handel zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretär Martin Petig. Der Betriebsrat klagte beim Arbeitsgericht Wesel auf Einsicht in die Datenprotokolle der Firma, um handfeste Beweise zu haben. Die Firma bestritt die Verstöße heftig, verweigerte die Auskunft über die Herkunft der Daten und verlangte ihrerseits eine gerichtliche Bestätigung der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens.

Das Gericht hatte sich in detektivischer Kleinarbeit daranmachen müssen, den Ereignissen auf die Spur zu kommen. Im Oktober 2011 verwarf es die Argumentation von Bofrost, dass es viele Gründe geben könne, auch auf Daten von dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Firmencomputern zugreifen zu müssen. Außerdem habe man die Kenntnis von Eggings außerbetrieblicher Tätigkeit gar nicht aus einem illegalen Zugriff gewonnen, sondern zufällig aus einem Gespräch auf dem Gerichtsflur erfahren. Das, urteilte das Arbeitsgericht, könne so nicht gewesen sein. Daten und Fakten sprächen dagegen, zeugten von der "Uneinsichtigkeit" des Unternehmens und ließen Wiederholungsgefahr befürchten.

In nächster Instanz bestätigte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf diese Entscheidung. Grundsätzlich dürfe der Arbeitgeber "unter keinen Umständen in die elektronischen Dateien des Betriebsrates Einsicht nehmen". Dem Betriebsrat verwehrte das Gericht allerdings den Einblick in die Firmenunterlagen. Er sei selbst für seine Datensicherheit verantwortlich und müsse sich darum kümmern, das Leck im Datennetzwerk zu schließen. Dennoch konnten Betriebsrat und ver.di die Urteile als Sieg verbuchen.

Gewerkschaftssekretär Martin Petig wertete sie als Erfolg einer gewerkschaftlichen "Druckkampagne". Ein für allemal sei nun festgestellt, dass die Betriebsratsunterlagen generell geschützt seien, sowohl datenschutz- wie betriebsverfassungsrechtlich: "Das sollte selbstverständlich sein. Jedes andere Urteil hätte deutschlandweit dafür gesorgt, dass sich niemand mehr hätte vertrauensvoll an den Betriebsrat wenden können." Im März 2012 erkannten beide Kontrahenten die Gerichtsurteile an und einigten sich außergerichtlich. Die fristlose Kündigung des dreifachen Familienvaters Rolf Egging ist aufgehoben, Bofrost gelobte Besserung.

Das Nachspiel: Am 13. April 2012 erhielt Bofrost auf Vorschlag von ver.di den Negativ-Preis "BigBrotherAward 2012" in der Kategorie "Arbeitswelt". Er wird jährlich unter der Regie des Bielefelder Vereins FoeBud von einer unabhängigen Sachverständigen-Jury vergeben. Die Laudatio hielt der Arbeits- und Informationsrechtler, Professor Peter Wedde. Bofrost, so Wedde, habe "ungeniert" und "frei von Schuldbewusstsein" auf eine "gesetzlich geschützte Datei von Betriebsräten zugegriffen. Wer so handelt, verfehlt das im eigenen Internet-Auftritt propagierte Ziel, einer der beliebtesten Arbeitgeber in Europa zu werden, mit Sicherheit."

Heide Platen