Die europäischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben die erste europäische Bürgerinitiative gegründet. Sie wollen erreichen, dass sich die EU-Kommission mit dem Thema Wasser beschäftigt

von Anette Jenssen

Sauberes Trinkwasser ist nicht überall selbstverständlich

Eine Milliarde Menschen weltweit müssen ihren Durst mit schmutzigem Wasser löschen. Dabei ist Trinkwasser seit zwei Jahren ein Menschenrecht. So hat es die UNO mit großer Mehrheit beschlossen. In ihrer Resolution fordert sie Staaten und internationale Organisationen auf, dafür zu sorgen, dass alle Menschen zu ihrem Recht kommen. Doch 17 EU-Länder haben sich vor zwei Jahren der Stimme enthalten. Und weil sich aus dem Beschluss der Weltgemeinschaft keine unmittelbar bindenden Verpflichtungen ergeben, passiert auf EU-Ebene de facto erst einmal nichts.

Das wollen die Europäischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes nicht länger hinnehmen. Gleich als erste nutzen ver.di und ihre Schwesterorganisationen die seit April existierende Möglichkeit einer Europäischen Bürgerinitiative. Sie fordern von der EU-Kommission ein Gesetz, das Wasser und sanitäre Grundversorgung als Menschenrecht explizit anerkennt. "Wenn mehr als eine Million EU-Bürger unterschreiben, muss sich die EU-Kommission mit unserem Vorschlag ernsthaft beschäftigen", erklärt Mathias Ladstätter von der ver.di-Bundesverwaltung.

Das mangelnde Interesse in vielen reichen Ländern, das Menschenrecht auf Wasser weltweit voranzubringen, hat einen einfachen Grund: Es geht dabei vor allem um die Versorgung von Armen - und mit denen ist kein Geschäft zu machen, wie das Beispiel des Örtchens Jinmagda im Südsudan zeigt.

Früher haben die Menschen dort ihr Wasser aus Wassertümpeln geschöpft, die sich in der Regenzeit bilden - oft wenige Schritte entfernt von der Stelle, wo ihre Rinder ihren Durst löschten. Durchfallerkrankungen waren an der Tagesordnung, sehr viele Kinder starben aufgrund des verkeimten Wassers noch bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht hatten. Vor ein paar Jahren hat sich die Situation deutlich gebessert. Seither gibt es für die 2000 Einwohner von Jinmagda und den umliegenden Weilern in der dünn besiedelten Region Upper Nile frisches Grundwasser. Mehrere Tage lang haben Ingenieure der internationalen Hilfsorganisation Oxfam gebohrt und stießen schließlich in 27 Metern Tiefe auf den überlebenswichtigen Stoff. Rohre wurden verlegt, ein Fundament gegossen und eine stabile Handpumpe aufgeschraubt. Ein mehrköpfiges Komitee im Dorf kontrolliert seither regelmäßig die Dichtungen und fettet die Gelenke der Anlage. Wenn hier etwas kaputt geht, kann es Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis Ersatzteile beschafft sind.

Die Bevölkerung von Südsudan gehört zu den ärmsten weltweit, der jüngste Staat auf der Erde ist nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg nicht in der Lage, das Menschenrecht auf Wasser sicherzustellen. Verdienen kann hier auf absehbare Weise niemand etwas. Die Menschen leben von ihren Tieren und dem Mais, den sie dem kargen Boden abringen.

Unterschriften sammeln

Seit dem 1. April 2012 gibt es die Möglichkeit, europäische Bürgerinitiativen bei der EU-Kommission anzumelden - und gleich am 2. April lag dort der erste Antrag auf dem Tisch.

Seine Ziele:

  • Wasser und sanitäre Grundversorgung als Garantie für alle Menschen in Europa.
  • Keine Liberalisierung der Wasserwirtschaft.
  • Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung für alle Menschen weltweit.

Hinter dem Antrag stehen Gewerkschaften aus 25 Ländern, die Beschäftigte aus dem Bereich öffentlicher Dienstleistungen organisieren, und ihr Dachverband, der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD). Zu den Gewerkschaften gehört auch ver.di. Sowohl auf der Straße als auch im Internet werden sie Unterschriften sammeln, sobald die EU-Kommission den Antrag genehmigt hat. Damit ist vermutlich im Mai zu rechnen.

Ein Jahr lang haben sie Zeit, um mindestens eine Million Unterstützer zu finden. Gelingt das, muss sich die Europäische Kommission mit dem Anliegen befassen und kann einen entsprechenden Gesetzesvorschlag erarbeiten. Lehnt sie das ab, muss sie das detailliert begründen.

www.right2water.eu/de

In solchen Gegenden investiert kein privatwirtschaftliches Unternehmen. Konzerne wie Veolia und Suez aus Frankreich oder die britische Firma Thames Water, die zwischenzeitlich von RWE geschluckt wurde und jetzt einem australischen Investmentfonds gehört, wollen Profit machen. Vor allem in den 1990er Jahren gingen die weltweit agierenden Wasserunternehmen deshalb auf Einkaufstour. Viele bis dahin öffentliche Versorger wurden verkauft - in Drittweltländern nicht selten auf Druck von Weltbank und IWF. "Sie haben Kredite an die Bedingung geknüpft, dass die Wasserversorgung privatisiert wird", empört sich die Kanadierin Maude Barlow, alternative Nobelpreisträgerin und Gründerin der Menschenrechtsorganisation "Blue Planet Project" gegenüber der Bundeszentrale für politische Bildung. Ihre Organisation hat maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die UNO das Menschenrecht auf Wasser verabschiedet hat. "Wir brauchen Wasser, um zu leben. Es ist etwas anderes als Laufschuhe oder Softdrinks. Und deshalb darf man es nicht wie eine Ware verkaufen", argumentiert Barlow.

Auch in Industrieländern gelang es den Wasserversorgern, die Mär zu verbreiten, dass sie billiger und besser arbeiten als staatliche Firmen. "Die angeblichen Effizienzsteigerungen von 10 bis 20 Prozent sind fiktive Zahlen. Nirgends belegt, werden sie immer wieder zitiert", schreibt Attac.

Tatsächlich erhöhten sich beispielsweise in Buenos Aires die Wasserpreise nach der Privatisierung Mitte der 1990er Jahre um fast 90 Prozent. Laufend beschwerten sich Nutzer über den miesen Service - bis die Stadt zehn Jahre später die Verträge kündigte. Heute liegt die Wasserversorgung von Argentiniens Hauptstadt in den Händen der Kommune, und im Unternehmen haben Beschäftigte und Gewerkschafter heute großen Einfluss. Mittlerweile sind 100.000 Meter der ältesten Wasserleitungen ausgetauscht worden, der Wasserdruck wurde deutlich erhöht und die Abwasserbehandlung verbessert.

In der bolivianischen Stadt Cochabamba kam es zu einem regelrechten Wasserkrieg, weil die Menschen nach der Privatisierung dreimal so viel für ihr wichtigstes Lebensmittel zahlen mussten. Die Privaten mussten schließlich den Rückzug antreten - genau wie in Paris und 40 anderen französischen Kommunen.

In Deutschland steht die Rekommunalisierung der Wasserversorgung vielerorts ebenfalls auf der Tagesordnung. "Die Kommune muss zwar auch wirtschaftlich denken, ist aber nicht der Profitmaximierung verpflichtet", sagt Roland Schäfer, Präsident des Deutschen Städte-und Gemeindebunds. Der Bürgermeister von Bergkamen hat dafür gesorgt, dass dort die Wasserversorgung wieder unter stadteigene Regie gelangte. In Stuttgart waren es Bürger, die die Politiker zu dem gleichen Schritt zwangen. In Hamburg und Kassel verhinderten Volksabstimmungen die Privatisierungspläne schon im Vorfeld, und die Berliner erreichten immerhin die Offenlegung der skandalösen Verkaufsverträge.

Tatsächlich lassen sich mit Wasser nur dann deutliche Gewinne erwirtschaften, wenn den Kunden hohe Preise abverlangt oder an der Pflege der Infrastruktur gespart wird. Wie kaum ein anderes Gut ist eine zuverlässige Wasserversorgung auf Weitsicht und langfristige Vorsorge angewiesen. Das beginnt damit, Bauern in Grundwassereinzugsgebieten davon abzuhalten, bestimmte Pestizide einzusetzen - auch wenn die sich erst Jahre oder sogar Jahrzehnte später im Trinkwasser ansammeln würden. Auch ins Rohrsystem muss regelmäßig investiert werden. Hier auf Verschleiß zu fahren, ist für ein Unternehmen, das möglichst schnell viel Geld abschöpfen will, sehr verführerisch: Schließlich halten die großen Wasserleitungen durchschnittlich 50 Jahre. Wird hier eine Weile lang geschlampt, stauen sich die Reparaturkosten auf, außerdem ist mit zunehmenden Wasserverlusten zu rechnen. In Frankreich versickert heute bereits mehr als ein Viertel des aufbereiteten Trinkwassers im Boden, in Deutschland sind es bisher nur sieben Prozent. Außerdem haben die französischen Wasserkonzerne gerichtlich durchgesetzt, dass sie nicht für den Gewässerschutz verantwortlich sind. Der Chlorgeschmack des französischen Leitungswassers ist sprichwörtlich.

Dass das von der UNO verabschiedete Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser heute nicht einmal in Europa für alle gilt, liegt allerdings nicht nur an Privatfirmen, sondern auch an politischen Entscheidungen. In Südslowenien sind Roma beispielsweise gezwungen, das Wasser aus Flüssen zu nutzen, weil sie weder Grundstücke besitzen noch einen Mietvertrag vorweisen können - das aber ist im slowenischen Recht die Voraussetzung für den Zugang zum Trinkwassersystem. Zwei Millionen EU-Bewohnern wird heute ihr Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser vorenthalten, schätzen die europäischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Auch dagegen richtet sich ihre Unterschriftenaktion.

Virtuelles Wasser in Kaffee und T-Shirt

Deutschland ist ein wasserreiches Land; weniger als drei Prozent des potenziell nutzbaren Süßwassers werden hierzulande aufbereitet. Trotzdem importiert Deutschland sehr viel Wasser - zumindest indirekt. Egal ob Kaffee aus Nicaragua, Tomaten aus Südspanien oder Rosen aus Kenia: Ein Großteil dessen, was wir täglich in unseren Einkaufskorb packen, konnte nur mit Hilfe von sehr viel Wasser hergestellt werden. So stecken in der Produktion einer Tasse Kaffee 140 Liter sogenanntes virtuelles Wasser. Die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts ist mit dem Verbrauch von durchschnittlich 4000 Litern Wasser verbunden. Für ein Kilo Rindfleisch sind vorher 16.000 Liter Wasser vor allem für die Futterproduktion verbraucht worden.

Häufig stammen diese importierten Produkte aus trockenen Gegenden. Deren exportorientierte Wirtschaft gräbt somit in vielen Fällen der heimischen Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. Weltweit ist die Landwirtschaft für etwa 70 Prozent des Wasserverbrauchs verantwortlich.

Unterschriften sammeln

Seit dem 1. April 2012 gibt es die Möglichkeit, europäische Bürgerinitiativen bei der EU-Kommission anzumelden - und gleich am 2. April lag dort der erste Antrag auf dem Tisch.

Seine Ziele:

  • Wasser und sanitäre Grundversorgung als Garantie für alle Menschen in Europa.
  • Keine Liberalisierung der Wasserwirtschaft.
  • Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung für alle Menschen weltweit.

Hinter dem Antrag stehen Gewerkschaften aus 25 Ländern, die Beschäftigte aus dem Bereich öffentlicher Dienstleistungen organisieren, und ihr Dachverband, der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD). Zu den Gewerkschaften gehört auch ver.di. Sowohl auf der Straße als auch im Internet werden sie Unterschriften sammeln, sobald die EU-Kommission den Antrag genehmigt hat. Damit ist vermutlich im Mai zu rechnen.

Ein Jahr lang haben sie Zeit, um mindestens eine Million Unterstützer zu finden. Gelingt das, muss sich die Europäische Kommission mit dem Anliegen befassen und kann einen entsprechenden Gesetzesvorschlag erarbeiten. Lehnt sie das ab, muss sie das detailliert begründen.

www.right2water.eu/de

Virtuelles Wasser in Kaffee und T-Shirt

Deutschland ist ein wasserreiches Land; weniger als drei Prozent des potenziell nutzbaren Süßwassers werden hierzulande aufbereitet. Trotzdem importiert Deutschland sehr viel Wasser - zumindest indirekt. Egal ob Kaffee aus Nicaragua, Tomaten aus Südspanien oder Rosen aus Kenia: Ein Großteil dessen, was wir täglich in unseren Einkaufskorb packen, konnte nur mit Hilfe von sehr viel Wasser hergestellt werden. So stecken in der Produktion einer Tasse Kaffee 140 Liter sogenanntes virtuelles Wasser. Die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts ist mit dem Verbrauch von durchschnittlich 4000 Litern Wasser verbunden. Für ein Kilo Rindfleisch sind vorher 16.000 Liter Wasser vor allem für die Futterproduktion verbraucht worden.

Häufig stammen diese importierten Produkte aus trockenen Gegenden. Deren exportorientierte Wirtschaft gräbt somit in vielen Fällen der heimischen Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. Weltweit ist die Landwirtschaft für etwa 70 Prozent des Wasserverbrauchs verantwortlich.