Ausgabe 05/2012
Psalmen reichen nicht
Die Kirche an ihre soziale Verantwortung erinnert: Demonstration vor dem Palais Holnstein, der Residenz von Erzbischof Marx, für einen Sozialtarifvertrag
VON Stefanie Staschul
Wenn der Hirte nicht zur Herde kommt, dann kommt die Herde zum Hirten. So am 5. Mai in München. Der Hirte, das ist in diesem Fall Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, und die Herde sind die Betriebsräte von Hugendubel in München und der Buchkette Weltbild in Augsburg. Sie kamen mit lautstarker und zahlreicher Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen der Verlagsgruppe. Aber der Erzbischof glänzte durch Abwesenheit. Lediglich ein paar verständnisvolle Zeilen gab es zum Gruß. Wie so oft in den letzten Monaten. Doch der Reihe nach: Vor drei Jahren gab es bei Hugendubel in München eine erste größere Kündigungswelle. Da zu vermuten war, dass es nicht die letzte sein würde, bildete man vor über zwei Jahren eine ver.di-Tarifkommission für die Verhandlung eines Sozialtarifvertrages. Ziel war und ist es, bei eventuellen erneuten Kündigungsplänen größtmögliche Arbeitsplatzsicherheit zu schaffen. Die Geschäftsleitung von Hugendubel ist jedoch seit zwei Jahren nicht bereit, Gespräche oder gar Verhandlungen darüber zu führen - trotz Demonstrationen und trotz eines Warnstreiks der Hugendubler in der Vergangenheit. Die Antworten sind immer dieselben: Entweder heißt es, es gehe Hugendubel so gut, dass man keinen Sozialtarifvertrag brauche, oder es geht dem Unternehmen angeblich gerade so schlecht, dass man sich den Vertrag nicht leisten könne. Oder aber: Wenn es zu einem Vertrag käme, dann stünde das in der Zeitung, und das wäre peinlich.
Die katholische Kirche ist ein gewichtiger Anteilseigner
Was also tun? Die Hugendubler wandten sich an die nächsthöhere Ebene. An den Erzbischof von München und Freising als Vertreter der katholischen Kirche, die wiederum über den Weltbild-Verlag und die Firmengruppe DBH Buch Handels GmbH ein gewichtiger Anteilseigner von Hugendubel ist. Der Bischof möge bitte bei einem Sozialtarifvertrag vermitteln. Immerhin sei es ja Ende 2011 bei Weltbild vor dem Szenario eines drohenden Verkaufs dank des großen Engagements der Belegschaft gelungen, einen Zukunftstarifvertrag abzuschließen. Die bischöfliche Antwort auf die Vermittlungsbitte klang gut: Der Kardinal sei sich seiner sozialen Verantwortung bewusst. Allein - es passierte nichts. Also wird der Bischof auf eine Betriebsversammlung von Hugendubel eingeladen und bekommt Postkarten. Eine für jeden der 400 Hugendubler, der oder die einen Sozialtarifvertrag möchte. Und nochmals wird er zu einer Betriebsversammlung eingeladen. Die Antwort des hohen Herrn bleibt stets dieselbe, ohne dass auf die Aussage auch eine Handlung folgt. Das Hugendubel-Stammhaus am Salvatorplatz ist durch eine rein theoretische soziale Verantwortung leider nicht zu retten. Es soll im Juli 2012 geschlossen werden. Höchste Zeit also für verbindliche Gespräche. Die Herde hat deshalb an diesem 5. Mai dem Hirten einen Brief mitgebracht, in dem sie noch einmal dringend Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag fordert.
Nun ist alles öffentlich
Das Presseecho auf die Aktion war erfreulich: Jetzt standen sie also mit ihrer Verweigerungshaltung und nicht mit einem abgeschlossenen Sozialtarifvertrag in der Zeitung, die katholische Kirche und der Name des Erzbischofs: Reinhard Kardinal Marx. Diese Peinlichkeit ist beiden nicht zu ersparen gewesen. Sie werden sich ihrer sozialen Verantwortung wohl auch praktisch bewusst werden müssen.