Ausgabe 07/2012
Zwölf Cent für ein besseres Leben
H&M-Betriebsrätinnen verlangen von ihrer Geschäftsführung einen besseren Umgang mit den Frauen, die in Asien Kleidung für den schwedischen Konzern nähen. ver.di unterstützt sie mit einer Kampagne
Hergestellt in Bangladesch – unter lebensbedrohlichen Bedingungen
Zwölf Cent. Dieser Betrag beeindruckt die H&M-Betriebsrätin Gudrun Willner aus Sindelfingen. Nur zwölf Cent würde ein Kleidungsstück teurer werden, wenn die Näherinnen in den Zulieferbetrieben in Bangladesch künftig 50 Euro im Monat mehr verdienen würden als heute. Das hat eine Berechnung von ver.di ergeben.
Etwa 42 Euro bekommen ausgebildete Textilarbeiterinnen in dem asiatischen Land am Ende eines Monats ausgezahlt. Weil davon niemand leben kann, sind sie gezwungen, sehr viele Überstunden zu leisten. "Manche schlafen sogar in den Fabriken. Wir haben beobachtet, dass viele Frauen einen kilometerweiten Fußweg haben, bevor sie morgens um sieben Uhr anfangen. Und oft kommen sie nicht vor 20 oder sogar 22 Uhr wieder raus", so Willner. Zusammen mit anderen Arbeitnehmervertreterinnen von H&M, Zara und Metro besuchte die Gesamtbetriebsrätin im vergangenen Jahr Bangladesch, wo 3,5 Millionen Menschen Klamotten für Europa und die USA herstellen. Sie sprachen mit Gewerkschafterinnen und schauten sich einen vom H&M-Management ausgewählten Betrieb an. "Selbst in diesem Vorzeigebetrieb war es laut, sehr heiß und stickig. Weil die Arbeiterinnen zuerst nicht wussten, wer wir waren, reagierten sie sehr verängstigt", erinnert sich Willner.
Auch die 23-jährige Laura Bresson aus Wiesbaden ist noch immer aufgewühlt von den Erlebnissen in Bangladesch. "Ich habe gesehen, dass in der Fabrik ein Notausgang versperrt war. Außerdem gab es da nur Eimerchen und so gut wie keine Feuerlöscher," erzählt sie. Immer wieder sterben in der asiatischen Textilindustrie Menschen, weil in den Betrieben Feuer ausbricht. Erst in diesem September sind in Pakistan mehr als 250 Näherinnen erstickt und verbrannt, weil die Hallen vollgestopft waren mit Stoffballen, die nach einem Kurzschluss sofort in Flammen aufgingen. Der Ausgang war blockiert, und so wurde die Fabrik zur tödlichen Falle.
Auch die Unterkünfte von Näherinnen konnten die Betriebsrätinnen aus Deutschland bei ihrem Besuch in Bangladesch anschauen. In den Wellblechhäusern leben meist fünf bis sechs Menschen in einem Raum; die umgerechnet 30 Euro Miete für den Verschlag könnte sich keine allein leisten. "Nur vier Toiletten und sechs oder sieben Kochplatten gab es dort für etwa 100 Leute", sagt Bresson. Gewerkschafterinnen berichteten der Delegation aus Deutschland, dass es in den Fabriken häufig zu Gewalt und sexuellen Übergriffen durch die Vorgesetzten komme.
Willner und Bresson setzen sich nun zusammen mit ver.di dafür ein, dass sich bei den Zulieferbetrieben etwas ändert. Auf Betriebsversammlungen haben die beiden Frauen ihren Kolleginnen Ende September über die Reiseerlebnisse berichtet. Unterstützt wurden sie dabei von zwei Gewerkschaftern aus Indien und Sri Lanka - denn in anderen asiatischen Ländern sieht es nicht viel besser aus als in Bangladesch. In Sri Lanka, wo etwa 280.000 Menschen in der Textilwirtschaft arbeiten, beträgt der Mindestlohn umgerechnet 52 Euro - und das, obwohl eine vierköpfige Familie etwa 250 Euro benötigt, um das Nötigste zu finanzieren, erklärt Anton Marcus, Generalsekretär der dortigen Dienstleistungsgewerkschaft. "Der Arbeitsdruck ist enorm, oft machen die Frauen nur zehn Minuten Pause, auch wenn ihnen 30 Minuten zustehen; sie schaffen sonst nicht den Akkord." Die Näherinnen dürfen trotz der Hitze nur wenig trinken, damit sie möglichst selten zur Toilette müssen. "66 Prozent der jungen Frauen leiden an Anämie", sagt Marcus, der wegen seines Einsatzes immer wieder Morddrohungen erhält, sich aber nicht einschüchtern lässt.
Mühselige Detektivarbeit
Die Betriebsräte von H&M und ver.di wollen erreichen, dass die Geschäftsführungen der großen Kleiderverkäufer ihren Umgang mit den Zulieferern verbessern. Der US-Konkurrent PVH mit den Marken Calvin Klein und Tommy Hilfinger hat bereits vor einer Weile seine prinzipielle Bereitschaft erklärt, Geld zu ge-ben für einen von den Beschäftigten in Bangladesch kontrollierten Gesundheits- und Arbeitsschutz. Ein Brandschutzabkommen, unter anderem von der Kampagne für saubere Kleidung (CCC) initiiert, hat der Konzern als erster unterzeichnet. Tchibo hat inzwischen nachgezogen. Doch die H&M-Manager zeigen sich stur: Vergeblich forderten die Betriebsrätinnen sie im Sommer auf, sich anzuschließen. Deshalb sammeln sie jetzt Unterstützung bei den Kol- leginnen, um den Druck auf ihre Geschäftsführung zu erhöhen. "In meiner Filiale haben fast alle unterschrieben", sagt Laura Bresson.
Vier Punkte stehen insgesamt auf der ver.di-Forderungsliste. Neben dem Brandschutz sind das höhere Löhne, freier Zugang von Gewerkschaftern zu den Fabriken und eine Offenlegung der Betriebe, die für H&M produzieren. "Wir wissen inzwischen, dass allein in Bangladesch 40 bis 50 Zulieferer für H&M arbeiten, aber so etwas ist mühsame Detektivarbeit", sagt Heiner Köhnen vom Internationalen Bildungswerk TIE, das Verbindungen zwischen Arbeitern in Nord und Süd fördert. Um die Zulieferbetriebe herauszufinden, haben er und seine Mitstreiter Labels aus H&M-Kleidungsstücken an die Gewerkschaften in Bangladesch geschickt - und die haben sie dann Arbeiterinnen aus möglichst vielen Betrieben vorgelegt, um herauszufinden, ob sie sie kannten. Weil aber Markenfirmen permanent auf der Suche nach noch billigeren Auftragnehmern sind, veralten solche Daten schnell.
Auf den Betriebsversammlungen haben Gudrun Willner und Laura Bresson mit ihren Kolleginnen auch über die zwölf Cent pro Kleidungsstück gesprochen, die den Frauen in Bangladesch ein wesentlich besseres Leben ermöglichen würde. Viele sagten, dass sie selbst bereit wären, einen solchen Betrag mehr für ein T-Shirt oder eine Hose zu bezahlen - sie wollten aber im Gegenzug sicher sein, dass das Geld auch bei den Arbeiterinnen ankommt und nicht nur den Gewinn des schwedischen Aktienunternehmens steigere. "Genau deshalb muss es das Zugangsrecht der Gewerkschaften geben", sagt Laura Bresson.
Johann Rösch von ver.di räumt ein: "Das Projekt wird sicher länger dauern." Doch weil sich inzwischen viele Betriebsräte um das Thema kümmern wollen, ist er optimistisch. 800 Millionen Euro Gewinn hat H&M im zweiten Quartal 2012 gemacht. Da sollte doch etwas drin sein.