Meghna Sukumar (28) arbeitet für die Gewerkschaft der Textil- und Modearbeiter in Chennai im Südosten Indiens, wo etwa ein Drittel der indischen Kleidungsindustrie angesiedelt ist

Meghna Sukumar

ver.di PUBLIK | Was sind die größten Probleme Ihrer Mitglieder?

Meghna Sukumar | Seit 2004 sind die Löhne bei uns nicht erhöht worden - durchschnittlich verdienen die Frauen umgerechnet zwei Euro am Tag – und das bei laufend steigenden Lebenshaltungskosten. Das ist nur die Hälfte oder ein Drittel von dem, was zum Beispiel ein Bauarbeiter bekommt. Es wird so getan, als ob die jungen Frauen, die nahezu 90 Prozent der Beschäftigten in der Kleidungsindustrie ausmachen, ja nur ein bisschen was dazuverdienen müssten, bis sie heiraten. Weil die Löhne so niedrig sind, sind die Frauen gezwungen, viele Überstunden zu leisten. Oft haben sie auch keine Wahl, weil ein Auftrag fertig werden muss. Vor allem die kleineren Betriebe haben keine anständigen Lohnabrechnungen, so dass die Arbeiterinnen oft geprellt werden, weil sie keine Kontrollmöglichkeit haben.

ver.di PUBLIK | Wie organisieren Sie die Arbeiterinnen?

Sukumar | Das ist sehr schwierig, weil wir nicht in die Fabriken dürfen und auch kaum die Möglichkeit haben, sie vorm Werkstor anzusprechen. Viele reisen über weite Entfernungen mit Fabrikbussen an und werden gleich nach drinnen gebracht. Für unsere Mitglieder ist es gefährlich, andere Frauen in den Betrieben anzuwerben oder sich sonst wie gewerkschaftlich zu äußern; das kann zum sofortigen Jobverlust führen. Deshalb haben wir fast nur eine Chance, unsere Mitglieder dort zu treffen, wo sie wohnen. Wir kümmern uns auch um Frauen, die Arbeitsunfälle hatten, damit sie eine Kompensation bekommen. Viele Arbeiterinnen erfahren auch durch die Kampagne für einen höheren Mindestlohn von unserer Existenz.

ver.di PUBLIK | Viele internationale Markenfirmen haben sich durch einen Verhaltenskodex selbst verpflichtet, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern zu sorgen. Nützt das was?

Sukumar | Auf dem Papier existieren alle möglichen Rechte. Aber in der Realität gibt es die nicht. Wenn ausländische Besucher kommen, werden ausgewählte Arbeiterinnen angewiesen, was sie zu sagen haben. Solange Gewerkschaften keinen Zugang zu den Fabriken haben, nützen die Selbstverpflichtungen der Abnehmer nichts.

Interview: Annette Jensen