Magdeburg, Breiter Weg 193 - Erinnerung und Mahnung für die Passanten

Von Birgit Tragsdorf

Drei Jahre lang hat Regina Frömert, aktives ver.di-Mitglied, in Archiven recherchiert, bei Behörden nachgefragt, Spenden gesammelt, Genehmigungen eingeholt und mit dem Kölner Bildhauer Gunter Demnig geplant. Am 9. Oktober 2012 war es soweit: In Magdeburg erinnern von nun an in der Straße "Breiter Weg 193" drei Stolpersteine an Ella Blumenthal, ihre Schwester Dora Reinhold und deren Ehemann Dr. Martin Reinhold. Die drei jüdischen Bürger/innen waren 1942 vor ihrem Haus festgenommen, ins Warschauer Ghetto deportiert und anschließend ins Vernichtungslager Treblinka verschleppt worden.

"Es ist so wenig, was an einen Menschen, an eine Familie erinnert, denen so Schlimmes widerfahren ist wie in der Zeit der Entrechtung und Vernichtung der Juden durch den Nationalsozialismus", meint Regina Frömert. Deshalb hat sie die Stolpersteine auf dem Gehweg initiiert, und ver.di-Kollegen und -Senioren haben Spenden dafür gesammelt. Die Steine sollen ein Ort des Erinnerns und des Mahnens sein. Passanten sollen sie sehen und mit Blicken stolpern, um zu erfahren, hier waren ihre jüdischen Mitbürger zu Hause - gleich nebenan.

Versuch einer Annäherung

In der Straße steht heute ein Neubau, in dem der ver.di-Bezirk Sachsen-Anhalt Nord seinen Sitz hat. Das Vorgängergebäude wurde 1976 abgerissen. Es war das Gebäude, in dem die Familie Blumenthal bis zu ihrer Verschleppung gelebt hat. Doch wer waren diese Blumenthals? Wie haben sie gelebt?

Regina Frömert, ehemalige Stadträtin, ist auf Spurensuche gegangen. Sie forschte im Stadtarchiv, blätterte in Bauakten, in Adressbüchern, im Archiv der jüdischen Gemeinde und im Landes-archiv. Dabei las sie sich durch über 100 Jahre Familiengeschichte und Zeitgeschehen. Besonders beklemmend war es für sie, Stück für Stück zu erfahren, wie die Rechte der jüdischen Mitbürger im Dritten Reich beschnitten wurden, bis hin zur Enteignung, zur völligen Rechtlosigkeit und der Ermordung der Familie Blumenthal.

Das Haus im Breiten Weg hatte die Familie Blumenthal bereits 1882 erworben. Der Kaufmann Hugo Blumenthal und seine Frau Jenny lebten dort nach der Jahrhundertwende mit den Töchtern Ella und Dora. Die auffindbaren Eintragungen sind karg. Ella Blumenthal war unverheiratet geblieben. Sie kümmerte sich um ihre Mutter Jenny, die 1940 starb und auf dem jüdischen Friedhof in Magdeburg beigesetzt wurde. Dora heiratete den jüdischen Zahnarzt Dr. Martin Reinhold.

Man kann nur die Namen, nicht das Leben zurückgeben

"Aus den Akten und Erlässen des Dritten Reiches kann man in etwa verfolgen, wie sich der Alltag der Juden ab 1938 fast Tag für Tag verschlechterte", sagt Regina Frömert. "Ich habe begonnen, mich in das Leben der Schwestern hineinzudenken. Das war schwer und beklemmend. Manchmal wieder so vertraut, weil man weiterdenkt, sich vorstellt, wie ihr Leben gewesen sein könnte." Wie es endete, ist bekannt. Die Namen von Ella Blumental, Dora Reinhold und Dr. Martin Reinhold stehen auf der Deportationsliste vom 13. April 1942. Sie wurden nach kurzem Aufenthalt im Warschauer Ghetto nach Treblinka gebracht und dort ermordet.

Über 300 Stolpersteine gibt es inzwischen in Magdeburg. Weitere sollen dazukommen. "Das Leben können wir den Ermordeten nicht zurückgeben. Aber ihre Namen sollen wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden." Mit den ver.di-Kollegen in Magdeburg wird sich Regina Frömert weiter engagieren - im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.