Paka González ist wütend. "Dieses System haben wir aufgebaut. Wir müssen es mit Zähnen und Klauen verteidigen", sagt die 45-jährige Spanierin. Sie ist eingehüllt in ein Spruchband. Darauf steht: "Öffentliche Gesundheit - nicht zu verkaufen."

Seit Wochen protestieren Ärzte wie Patienten gegen die Pläne der Madrider Regionalregierung, sechs von zwölf regionalen Krankenhäusern und 27 von 270 Gesundheitszentren zu privatisieren. Es ist eines der unpopulärsten Projekte im dicken Katalog von Kürzungen und Privatisierungen der spanischen Behörden. Die Menschen fürchten, dies sei der Anfang vom Ende ihres öffentlichen Gesundheitssystems, das viele für beispielhaft halten. Andere Regionen wie Kastilien-La Mancha haben ähnliche Pläne angekündigt, Katalonien und Valencia haben sie bereits verwirklicht.

Staatlich und effizient

Spaniens Gesundheitssystem ist staatlich, es finanziert sich aus Steuern. Medizinisch-technische Assistentinnen, Ärzte, Krankenpfleger oder Verwaltungsangestellte sind öffentliche Beschäftigte. Lange Wartelisten für einen Termin beim Facharzt gehören zu den Nachteilen des Systems. Auf der anderen Seite betonen Gesundheitsökonomen, das System sei enorm effizient. Teure Diagnosegeräte sind pausenlos im Einsatz und ausgelastet, weil nicht alle Kliniken jede Diagnostik im Programm haben müssen, sondern Patienten problemlos untereinander austauschen.

Für die Demonstrantin Paka González geht es ums Prinzip: "Es kann sein, dass ich mein ganzes Leben lang keinen Arzt brauche. Aber die Frau neben mir vielleicht schon morgen. Dennoch bezahlen wir alle gern für dieses System, jeder nach seinem Einkommen. Das Gesundheitswesen gehört uns. Wir werden keine fortschrittliche Gesellschaft mehr sein, wenn wir untereinander nicht solidarisch sind."

José Manuel Freire unterrichtet an der staatlichen Nationalen Gesundheitsschule. Er unterstreicht die Bedeutung der sozialen Gerechtigkeit als Basis des Gesundheitssystems. Mit Armut und sozialer Ungleichheit begründet er auch das schlechte Abschneiden der USA in einer vergleichenden Untersuchung von 17 Gesundheitssystemen unter Federführung der US-amerikanischen "National Academy of Science". Dieser Untersuchung zufolge wird nirgends mehr für Gesundheit ausgegeben, als in den USA - 2007 waren es fast 7300 US-Dollar pro Kopf –, jedoch mit denkbar schlechten Ergebnissen. In Deutschland liegen die Ausgaben etwa bei der Hälfte, in Spanien sind es noch einmal 1000 US-Dollar weniger. Trotzdem erzielt Spanien bei der Lebenserwartung deutlich bessere Ergebnisse. Professor Freire leitet daraus sein Urteil ab: Die Bevölkerung muss in einem privatwirtschaftlichen Gesundheitssystem nicht nur mehr für ihre Gesundheit bezahlen, sie erhält dafür auch noch schlechtere Leistungen.

Wenn nur Geld zählt

Rentabilität könnte künftig Vorrang vor dem Patienteninteresse haben, befürchtet Fátima Braña vom spanischen Ärzteverband Afem. Privat verwaltete Kliniken könnten versucht sein, Patienten, die eine besondere Therapie benötigen, nicht mehr an bessere staatliche Kliniken zu überweisen, um die Einnahmen für die Behandlung nicht zu verlieren. Einem Artikel der Tageszeitung El Mundo zufolge, überweisen Privatkliniken nur fünf Prozent ihrer Patienten an besser eingerichtete öffentliche Krankenhäuser, während eine staatliche Klinik im Schnitt 15 Prozent ihrer Patienten weiterleitet, wenn sie woanders besser behandelt werden.

Die Behörden begegnen den Protesten mit Angriffen gegen die Ärzte. Die Mediziner verteidigten nur ihre Privilegien, heißt es. Dabei verdient Fátima Braña als Spezialistin für Altersheilkunde lediglich 2300 Euro netto im Monat. Der Vorsitzende des Verbandes Afem, Pedro González, kommt als Gehirnchirurg einschließlich aller Nacht- und Wochenendschichten auf rund 3200 Euro netto. In einer Privatklinik wäre es deutlich mehr.

Die Gesundheitspolitiker argumentieren, das System lasse sich trotz seiner niedrigen Kosten nicht finanzieren. Gleichzeitig werden Banken, die sich mit Immobiliengeschäften verspekuliert hatten, mit 40 Milliarden Euro gerettet. Die Empörung darüber ist groß. Die Demonstrantin Paka González sagt: "Das Gesundheitssystem ist nicht in der Krise. Wir haben eine Bankenkrise. Die einfachen Leute haben die nicht verursacht. Wir bezahlen dafür, während die Verantwortlichen jetzt neue Geschäfte machen wollen - mit unserer Gesundheit."

Hans-Günter Kellner