Unter Schweinen

Elisabeth Herrmann: Das Dorf der Mörder | Um in der Flut deutscher Kriminalromane Aufmerksamkeit zu erregen, bedarf es entweder eines besonders abstrusen Verbrechens, extrem schrulliger Ermittler – oder einer auffallenden erzählerischen Begabung, pychologischen Scharfsinns und intelligenter Phantasie, die keine Effekte um ihrer selbst willen braucht. Solche Talente vereint die Wahl-Berlinerin Elisabeth Herrmann auf das Erfreulichste und hatte in ihrem Erstling Das Kindermädchen auch bewiesen, dass sich Verbrechen des Nationalsozialismus mit einem spannenden Krimi der Gegenwart erzählen lassen.

Nach weiteren erfolgreichen, preisgekrönten und verfilmten Büchern liegt nun mit Das Dorf der Mörder ihr literarisch bislang bestes Buch vor. Es geht um ein monströses, extrem grausames Geschehen, das mit der Zerfleischung eines Menschen durch Wildschweine im Berliner Tierpark beginnt und uns in die düstere Vergangenheit eines elenden Dorfes im Südbrandenburgischen führt. Herrmann erzählt eine Tragödie, die zu mehreren Morden und zerstörten Leben führt, mit einer geradezu quälenden, psychologischen Stimmigkeit, die ihresgleichen sucht. Und wiederum gelingt es ihr, zeitgeschichtliche Bezüge einzuflechten, hier die Trostlosigkeit entvölkerter Dörfer im Osten Deutschlands.

Herrmanns Ermittler – eine ihre Kompetenzen überschreitende junge Streifenpolizistin, deren Hartnäckigkeit sie fast das Leben kostet, ein intelligenter, arroganter Mordkommissionsleiter, der sich letztlich von ihr überzeugen lässt, ein gelangweilter Psychologiestudent, der über sich hinauswächst – sind keine Pappfiguren, auch nicht unmittelbar Sympathieträger, sondern ausdifferenzierte Charaktere mit jeweils eigener, auch leidvoller, Lebensgeschichte. Die Hauptverdächtige ist eine zutiefst verstörte, geheimnisvolle Frau, die Futtertiere im Tierpark züchtet, eine tödliche, tabuisierte Arbeit. Bis zum beklemmenden, extrem spannenden Showdown und einer selbst für geübte Leser/-innen überraschenden Täterentlarvung spinnt Herrmann ein raffiniertes Spurennetz, das uns in eine Gemeinschaft gewalttätiger Männer führt, die sich im Schutz ihrer schweigenden Frauen an Wehrlosen austoben – bis einer nach dem anderen aus dem Dorf verschwindet. Dass sich am Ende angesichts von Todesnähe eine zarte Zuneigung zwischen der sturen Polizistin und dem schicken Kommissar entwickelt, lässt uns hoffen, dass Herrmann ihre beiden Protagonisten erneut ermitteln lässt. Ulla Lessmann

Goldmann Verlag, 408 S., 19,99 €


Dave Eggers: Hologramm für den König | Da sitzt er nun, mitten in der Wüste. Adam Clay, ein amerikanischer Geschäftsmann, will in Saudi-Arabien das Geschäft seines Lebens machen. Doch zunächst muss er warten und schwitzen. Tagelang, wochenlang, monatelang. Der König, dem Clay das Projekt präsentieren will, taucht nicht auf. Den allein gelassenen Mann setzt US-Autor Dave Eggers als Metapher für die Folgen der Globalisierung ein, für die Absurdität internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Clay fühlt sich entwurzelt: Was soll er in Dschidda, fern der eigenen Familie und Kultur? Zu spät erkennt er, wie wichtig Menschlichkeit und gewerkschaftlicher Einsatz sind. Aus einer literarischen Tragikomödie formt Eggers eine Parabel über die Entmenschlichung der Arbeit. Das Dilemma, in dem sich seine Hauptfigur befindet, offenbart die Lage, in der immer mehr Arbeitnehmer stecken. Das richtige Buch zur richtigen Zeit – und eine packende Wirtschaftssatire. Günter Keil

KIEPENHEUER & WITSCH, Ü: ULRIKE WASEL/KLAUS TIMMERMANN, 350 S., 19,99 €


Richard v. Schirach: Die Nacht der Physiker – Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe | In diesem schlafraubenden Buch geht es nicht nur um die Bombe, die die Deutschen für Hitler nicht mehr bauen konnten, sondern auch um die Bombe, die den Amerikanern zu bauen gelang – gerade auch mithilfe der jüdischen Emigranten, die aus Nazideutschland vertrieben wurden. Am 6. August 1945 hören zehn deutsche Atomforscher – unter ihnen Werner Heisenberg, Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker – im BBC-Radio von Hiroshima, ungläubig zunächst: Wie kann den Amerikanern gelungen sein, was für die deutschen Anstrengungen noch in weiter Ferne lag? Die Forscher wurden von den Alliierten auf einem englischen Landsitz interniert und dabei rund um die Uhr abgehört. Schirach macht die Protokolle dieser Gespräche zur Grundlage seiner Studie über Schuld, Verstrickung, Einsicht und zweite Chancen, in der er die verschiedenen Persönlichkeiten der Wissenschaftler herausarbeitet – die sich später alle für die Ächtung von Atomwaffen einsetzen. Bettina Klix

BERENBERG VERLAG 2012, 272 S., 25 €


Mathias Nolte: Miss Bohemia | Eine verhängnisvolle Dreiecksgeschichte zwischen zwei nicht mehr ganz taufrischen Schriftstellern und der jungen, betörend geheimnisvollen Tara, die alle, den Leser eingeschlossen, spielend um den Finger wickelt und ihre Liebhaber schier um den Verstand bringt. Das geht natürlich nicht lange gut, jedoch ganz anders als man zunächst denkt. Denn mehr und mehr entwickelt sich diese Amour fou zu einem literarischen Rätsel, dessen Verwicklungen weit zurück in die alte DDR reichen. Und plötzlich gesellen sich zum spielerisch leichten Ausgangsthema immer weitere Bedeutungsebenen hinzu: Betrug, Verrat, Versagen, Rache und eine Wiedergutmachung, die es in sich hat. Nach seinen ersten beiden Romanen galt Nolte vielleicht noch als Geheimtipp. Mit der wunderbaren Miss Bohemia sollte er sich jetzt aber endgültig etabliert haben. Tina Spessert

DEUTICKE VERLAG 2013, 284 S., 18,90 €