Ausgabe 02/2013
Vogelperspektive
Als Co-Pilotin "lenke" ich mit dem Joystick rechts und gebe mit der linken Hand Gas. Für den Flugkapitän links neben mir ist es umgekehrt. Er trägt die Verantwortung für alles, was mit dem Flugzeug und den Passagieren zusammenhängt, trifft die Entscheidungen und muss in bestimmen Situationen - etwa bei dichtem Nebel oder Glatteis auf der Landebahn - auch übernehmen. Sonst arbeite ich mit dem Kapitän im Team. Wenn wir bei einem Frühdienst, der zwischen fünf und sechs Uhr beginnt, zuerst Nizza und später Mailand anfliegen, übernehme ich meist einen Hin- und einen Rückflug. Doch meine Arbeit beginnt bereits, bevor wir in unserem Airbus 319 oder 320 sitzen. Da geht es um Flugpläne, Routen, Kalkulationen, Treibstoffberechnung und Betankung. Natürlich helfen Computer. Doch auch die Einweisung der Flugbegleiter-Crew ist Pilotensache, es sind Geräte- und andere Tests exakt nach Checklisten vorgeschrieben.
Eine halbe Stunde am Boden
Die etwa 40 Routen, die easyJet von Berlin-Schönefeld aus anbietet, bin ich alle schon geflogen. Kein Flug ist wie der andere. Das Wetter und die Bedingungen wechseln ständig, man hat jedes Mal andere Passagiere. Die Faszination aber bleibt. Schon vor einem Start bei grauem Nieselwetter weiß ich, dass ich in ein paar Minuten die Sonne sehe. Mein Blickfeld weitet sich über alle Armaturen hinaus - direkt in die Weite des Himmels.
Dass ich als Pilotin die Welt sehen würde, wie ich das als Kind erträumte, als ich auf Urlaubsreisen mal vorn ins Cockpit schauen durfte, ist aber Illusion. Die Städte, die wir anfliegen, kennen wir nur aus der Vogelperspektive. Es dauert keine halbe Stunde, bis wir nach einer Landung die Parkbremse wieder lösen. Flugzeuge sind nur wirtschaftlich, wenn sie in der Luft sind. Die Airlines, speziell Günstigflieger wie unsere, reizen das aus. So werden selbst Co-Piloten inzwischen aus der Zentrale "verliehen". Dagegen engagieren wir uns als Interessenvertretung.
Flexibilität gehört freilich zum Beruf. Ich habe meine Ausbildung zu Hause in Dänemark gemacht, sehr intensiv, denn man muss selbst dafür zahlen - mit vier Kolleginnen unter 80 Pilotenschülern. Angefangen habe ich bei einer slowakischen Gesellschaft, als einzige Frau im Cockpit. Bei easyJet gilt das jetzt nicht mehr.
Seit sechs Jahren fliege ich von Schönefeld aus, momentan wegen meines kleinen Sohnes in Teilzeit, das bringt längere Freizeitblöcke. Professionell soll mich das aber nicht bremsen. Ich habe mich kürzlich auf eine Flugkapitänsstelle beworben. Die theoretische Ausbildung dafür kann ich nachweisen, längst auch die erforderlichen Flugstunden. Jetzt muss ich für die Kapitänsposition noch spezielle Trainings absolvieren. Das schreckt mich nicht. Nur mit der rechten und linken Hand müsste ich mich dann allerdings umgewöhnen.
Protokoll: Helma Nehrlich