Ausgabe 05/2013
Ökonomie erfüllt keine Wünsche
Arno Gahrmann ist Wirtschaftsingenieur und war Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an den Hochschulen Bremen, Wiesbaden und Harz
ver.di PUBLIK | Ökonomie heißt übersetzt Wirtschaft. Warum unterscheiden Sie in Ihrem Buch zwischen beiden Begriffen?
Arno Gahrmann | Ökonomie ist vom Ursprung her Wirtschaften. Vieles wird heutzutage aber unter Wirtschaft verkauft wie die "Neue soziale Marktwirtschaft", worin nur noch das rein kapitalistische System der Vermögensmehrung steckt, überwiegend dominiert von großen internationalen Konzernen.
ver.di PUBLIK | Wie ist es zu diesem Wandel gekommen?
Gahrmann | Durch die Dominanz der Kapitalgesellschaften. Unter dem globalen Wettbewerbsdruck bleibt oft auch typischen Familienunternehmen, die das Ganze im Blick haben, nichts anderes übrig, als sich auf minimale Kosten zu konzentrieren.
ver.di PUBLIK | In Ihrem Buch nennen Sie das Beispiel der Bremer Beck's-Brauerei. Das Familienunternehmen wurde 2001 an den international tätigen Brau-Konzern Interbrew verkauft.
Gahrmann | Ja, bis dahin konnten die 100 Gesellschafter mit bekömmlichen 100 Millionen Euro Gewinn zufrieden sein, den Mitarbeitern ging es rundherum gut, die Stadt Bremen erhielt ordentlich Gewerbesteuer, und Bürger und Touristen erfreuten sich an vierspännigen Brauereiwagen. Dies änderte sich schlagartig mit dem Verkauf zum stolzen Preis von 1,8 Milliarden Euro, der natürlich wieder hereingeholt werden will. Jetzt lautete die Parole: Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Die Pferde wurden abgeschafft, Bereiche ausgegliedert und deutschlandweit Arbeitsplätze wegrationalisiert. Zum Rückgang der Gewerbesteuer lässt sich nur in eine Richtung spekulieren. All diese Bereiche mussten für den hohen Kapitaleinsatz bluten - nur eben nicht die alten und die neuen Eigentümer.
ver.di PUBLIK | Es heißt aber doch so schön, das Kapital sei ein scheues Reh, das nicht vertrieben werden dürfe. Aber hier scheint es doch nur um Gewinne zu gehen?
"Kommt Leute, ihr habt Recht mit euren Vorbehalten und eurer Kritik an dieser Ökonomie und dem Wunsch, dass sie nicht überhand nehmen darf"
Gahrmann | Völlig zu Unrecht haben wir Scheu vor dem Kapital. Uns wird immer suggeriert, wir seien darauf auf Gedeih und Verderb angewiesen. Dabei vergessen wir, dass die reale Produk- tion nur aus realen Ressourcen und nicht aus monetären Ziffern heraus erfolgt.
ver.di PUBLIK | Also brauchen wir gar nicht so viel Kapital?
Gahrmann | Dieses verzweifelte Buhlen um das Kapital ist überhaupt nicht notwendig, wenn man, einfach gesagt, die Dinge selbst in die Hand nimmt. Staat und Region müssen die zusammenführen, die Leistungen erbringen wollen, und die, die Leistungen nachfragen.
ver.di PUBLIK | Die jetzige Bundesregierung ebnet ebenso wie ihre Vorgängerinnen nur dem Kapital den Weg. Haben Sie Hoffnung, dass sich daran etwas ändert?
Gahrmann | Der Politik geht es vornehmlich um Arbeitsplätze. Diese werden wegrationalisiert, um Kosten zu senken. Dann sucht die Politik verzweifelt neues Kapital, das dann mit noch größeren Summen gerade mal nur einen Bruchteil davon zu ersetzen vermag. Das ist ein Teufelskreis.
ver.di PUBLIK | Ein Beispiel?
Gahrmann | Sehen Sie sich nur die großen Infrastrukturprojekte an. In Wilhelmshaven gab es einst zehntausende Beschäftigte in der Schreibmaschinenindustrie. Nun wurde dort ein Tiefseewasserhafen für eine Milliarde Euro gebaut. Dafür sind nicht einmal 500 Arbeitsplätze geschaffen worden, ein halber pro Million. Dafür gäbe es in einer Wirtschaft, die nicht renditemaximal durchrationalisiert ist, mindestens zehnmal so viel.
ver.di PUBLIK | Was kann dagegen getan werden?
Gahrmann | Wir müssen die Wirtschaftsstrukturen mehr zurückführen auf die ökonomisch gesehen weniger effizienten Strukturen. Wir müssen auch die totale Überflutung durch die Globalisierung bewusst abgrenzen. Abpuffern, nicht abschotten, so dass wieder neuer Freiraum für eine eigenständige Gestaltung von Wirtschaft entsteht.
ver.di PUBLIK | Können wir uns das leisten?
Gahrmann | Schauen wir doch nach Dänemark, das Land mit den höchsten Lebenshaltungskosten in der EU. Dieses Land leistet sich höchste Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen, gleichzeitig werden in allen Berufen auskömmliche Löhne bezahlt, so dass es dort praktisch keine Armut und unwürdige Hartz IV-Verhältnisse gibt. Wir hingegen meinen, wir müssten alles dem totalen Preis- und Konkurrenzwettbewerb überlassen, so billig wie möglich, egal unter welchen Bedingungen produziert.
"Dieses verzweifelte Buhlen um das Kapital ist überhaupt nicht notwendig"
ver.di PUBLIK | Das heißt, jeder Einzelne kann etwas tun?
Gahrmann | Es steckt sicher tief im Menschen drin, nicht mehr als unbedingt nötig zu bezahlen. Ich denke, die Mehrheit der Bevölkerung würde dennoch das dänische Modell mit Kusshand akzeptieren, das viel näher an dem ist, wie sich die Menschen Leben und Wirtschaften vorstellen. Weshalb wohl gelten die Dänen als die glücklichsten Europäer?
ver.di PUBLIK | Die Voraussetzungen dafür muss aber die Politik schaffen.
Gahrmann | Genauso, wie wir bewusst in den 1970er und 1980er Jahren die Grenzen niedergerissen haben, können dieselben Menschen, Politiker und Staatengemeinschaften wieder welche aufbauen. Ich rede dabei nicht von abschotten. Ich denke eher an Membranen, damit ein belebender Austausch möglich bleibt. Aber es soll kein Überfluten mehr geben, wie wir es heute haben.
ver.di PUBLIK | Wenn Sie sich die Politik heute ansehen, haben Sie Hoffnung, dass es zu diesem Umdenken kommen könnte?
Gahrmann | Es gibt sehr weitsichtige Politikerinnen und Politiker, die wahrnehmen, was der Bevölkerung nicht behagt. Ich möchte mit dem Buch klar machen, dass nicht wir zu dumm sind, die Ökonomie zu verstehen, sondern dass die Ökonomie die eigentlichen Wünsche der Menschen nach Wirtschaften in keiner Weise erfüllt oder sie gar nicht erfüllen kann. Und den Leserinnen und Lesern sagen, kommt Leute, ihr habt Recht mit euren Vor-behalten und eurer Kritik an dieser Ökonomie und dem Wunsch, dass sie nicht Überhand nehmen darf.
Interview: Heike Langenberg
Arno Gahrmann: Wir arbeiten und nicht das Geld. Wie wir unsere Wirtschaft wieder lebenswert machen, Westend-Verlag, Frankfurt/Main, 213 Seiten, 17,99 €, ISBN 978-3864890383
"Kommt Leute, ihr habt Recht mit euren Vorbehalten und eurer Kritik an dieser Ökonomie und dem Wunsch, dass sie nicht überhand nehmen darf"
"Dieses verzweifelte Buhlen um das Kapital ist überhaupt nicht notwendig"