Sozialstaats-Dämmerung | Dass der Sozialstaat vor sich hindämmert, ist fast noch eine Untertreibung. Eigentlich ist es schon zappenduster hier im Land. Die sogenannten kleinen Leute werden steuerlich immer stärker belastet, prekäre Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne sorgen für wachsende Armut, und damit wird auch der Grundstein für eine wachsende Altersarmut in den kommenden Jahren und Jahrzehnten gelegt. Es ist ein düsteres Bild, das Jürgen Borchert, Vorsitzender Richter am Hessischen Landessozialgericht, in seinem Buch zeichnet. "Wenn die Leute kapierten, wie der Gesetzgeber sie mit Hütchenspielen übers Ohr haut, müsste sich die ganz große Koalition aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen vor dem Wähler in Acht nehmen", benennt er die Verursacher dieser Misere. Auch mit Kritik an seinen Juristenkolleg/innen spart er nicht, wenn sie den Bogen des Grundgesetzes so dehnen, dass sie in Borcherts Augen fragwürdigen Gesetzen doch noch die juristische Absolution erteilen. Ein Beispiel sind die Hartz-IV-Regelsätze, für deren Überprüfung Borchert durch das Bundessozialgericht 2008 eine Vorlage lieferte. "Ein Sozialstaat, der selbst die Probleme produziert, die er eigentlich lösen soll, ist todkrank", schreibt er. Daher sieht er den Sozialstaat der alten Konstruktion in der globalisierten Welt am Ende. Stattdessen fordert er ein einheitliches System zur Absicherung von Alter, Pflege und Krankheit, eine Umverteilung von oben nach unten und Familiengerechtigkeit. Das ist sicherlich ein Ansatz, über den man nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs diskutieren kann. hla

Jürgen Borchert: Sozialstaats-Dämmerung, Riemann-Verlag, München, 248 Seiten, 12,99 €, ISBN 978-3570501603