Der Hamburger Rasmus Gerlach hat eine kritische Dokumentation über die Herstellungsbedingungen von iPhones gedreht. Erstmals auch in den Zinnminen Ruandas

von Jenny Mansch

Eigentlich wollte Rasmus Gerlach nur wissen, warum das iPhone nicht funktioniert, das ihm da unverlangt zugeschickt worden war. Der befreundete Handydoktor reichte ihn weiter mit seinen Fragen, bis er für seinen Film Apple Stories fast um die halbe Welt gereist war.

Ein junger Mann, der sich bei der Eröffnung des Apple Stores am Jungfernstieg in Hamburg das allererste iPhone 5 gesichert und damit Selbstwert gekauft hat, wird karikiert von Bildern jugendlicher Zinnsoldaten, den iSlaves, die das stumpfe Metall in den sauerstoffarmen Minen an der Grenze zum Bürgerkriegsland Kongo zutage fördern. Im chinesischen Shenzen recherchierte Gerlach, wie ein Produktpirat die begehrten iPhone-Ersatzteile illegal herstellt.

Und das System Apple führte ihn weiter zur Hongkonger Aktivistengruppe SACOM und ihrem Kampf gegen die Ausbeutung beim Zulieferer Foxconn sowie zu Wissenschaftlern aus Hannover, die mittels des "geologischen Fingerabdrucks" die Spuren der handyrelevanten Mineralien auf dem Weltmarkt verfolgen. Gerlach hat auf seiner abenteuerlichen Reise beredte Bilder eingefangen, die der schon fast philosophischen Bedeutung des Handys auf der ganzen Welt nachspüren. Neben niederschmetternden Informationen über moderne Ausbeutungsstrukturen erlaubt sein Film aber auch Einblicke in eine Gegenkultur, die dem Kontroll- und Überwachungssystem Apple trotzt.

ver.di PUBLIK | Wann haben Sie beschlossen, einen Film über Apple und das iPhone zu drehen?

Rasmus Gerlach | Irgendwann hat es an der Tür geklingelt und der Paketbote trug mir ein iPhone ins Haus. Ich dachte, was für ein doofer Zufall für ein Werbegeschenk. Ich habe dann sozusagen als fleißiger Journalist dieses Gerät untersucht, und der Film ist eigentlich ein Resultat dieser Zusendung.

ver.di PUBLIK | Untersucht? Auseinandergenommen, oder wie?

Gerlach | Ich habe versucht, es in Gang zu setzen und dabei hat sich heraus- gestellt, dass es ein sogenanntes "dead on arrival" war. Das heißt, das Ding funktionierte gar nicht. Und das führte mich dann zu meinen Freunden, den Handy-doktoren, die bei mir um die Ecke wohnen und mit denen ich befreundet bin. Die haben versucht herauszufinden, wo es herkommt, ob es irgendwelche Spuren vorheriger Nutzung hat, und da fing eigentlich das ganze Schneeballsystem der Weiterreichung an.

ver.di PUBLIK | Benutzen Sie auch sonst ein iPhone?

Gerlach | Ja, ich bin Apple-Kunde von Anfang an und habe insgesamt sieben Apple-Produkte, die bei der Herstellung des Films helfen. Wenn man an einem Apple-kritischen Film arbeitet, muss man aber immer versuchen, das auszublenden. Der Film würde nicht anders aussehen, wenn er mit einem anderen Schnittprogramm produziert worden wäre.

Rasmus Gerlach, 49, fotografiert mit einem iPhone

ver.di PUBLIK | Können Sie den Hype um die Figur des Unternehmers Steve Jobs nachvollziehen?

Gerlach | Ich fand seine Person nie sonderlich interessant. Für das Filmprojekt habe ich natürlich alles gelesen, was es über ihn gibt, und habe mir auch das sogenannte Lost Tape angeguckt, eine VHS-Kassette, die man in einer Garage gefunden hat. Darin erklärt er, dass sein eigentlicher Traum schon immer die menschenleere Fabrik sei. Und diesen Traum kann ich absolut nicht teilen. In den Reparaturabteilungen von Foxconn wird tatsächlich versucht, dieses rein robotergesteuerte Konzept wahrzumachen. Da soll es Hallen geben, wo keiner mehr tätig ist.

ver.di PUBLIK | Alles, um Lohnkosten zu sparen?

Gerlach | Und um zu kontrollieren. Ein Großteil der Apple-Reparaturen durch die Handydoktoren wurden anfangs mit Ersatzteilen gemacht, die just aus dieser abgeschotteten Abteilung stammten. Die sind also auf rätselhafte Weise von da raus und in die Welt gekommen. Die Handy-Schrauber brauchen vor allem immer diese Mini-Schräubchen, die in der Herstellung fast nichts kosten, inzwischen aber einen Weltmarkthandelspreis von 50 Cent pro Stück erreichen können, wenn sie knapp werden. Das sind winzige Teile, die man nur mit einem fünfzackigen Schraubenzieher drehen kann. Den hat man eigens bei Apple erfunden, damit niemand das Gerät einfach so aufschrauben kann.

ver.di PUBLIK | In einer menschenleeren Fabrik kommt also nichts weg.

Gerlach | Ja, deshalb versucht man, den menschlichen Faktor auszuschalten, weil nach Meinung von Steve Jobs der Arbeiter im Zweifelsfall nicht nur den menschlichen Faktor darstellt, sondern leider auch Ersatzteile mitgehen lässt. Und so zu denken, das finde ich ganz schlimm.

ver.di PUBLIK | Diese Unternehmensphilosophie bekommen ja auch die Beschäftigten in Deutschlands Apple-Stores zu spüren. Davon können die wenigen ver.di-Betriebsräte ein Lied singen.

Gerlach | Bei den Apple-Zulieferern hat man Metalldetektoren aufgebaut, die Mitarbeiter müssen ständig damit rechnen, vor die Tür gesetzt zu werden, weil sie da ein Schräubchen geklaut haben, und das setzt sich fort, auch im Apple Store Hamburg. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stehen die ganze Zeit unter Generalverdacht, und so werden sie unter ständigen Stress gesetzt und müssen sich dauernd Kontrollen ihrer Taschen und ihrer Kleidung gefallen lassen. Da gibt es inzwischen sogar eine permanente Videoüberwachung in den Umkleiden. Das ist ein ganz schlimmer Vorgang, dass Ersatzteile, die einen Bruchteil von einem Cent wert sind, zum Stressfaktor für die Leute werden. So ein Schräubchen kommt schon leicht mal weg. Bei Apple ist wirklich alles abgezählt. Wenn das da also irgendwie wegrollt und der Staubsauger es wegsaugt, dann ist trotzdem irgendjemand dafür haftbar, wo dieses Schräubchen abgeblieben ist.

ver.di PUBLIK | Für Apple rechnet sich dieses System aber.

Gerlach | Ja, das ist leider das Erfolgsmodell auf der Welt. Es ist auf diesem Wege absoluter Ausbeutung gelungen, so viel Geld zu verdienen. Angeblich hat Apple jetzt mehr Barreserven angehäuft als die amerikanische Regierung. Das ist ja auch der Grund, warum manche dieses Modell bewundern, um es dann wiederum auf andere Firmen zu übertragen. Das ist ja immer das Gefährliche daran, wenn Ausbeutung so besonders gut gelingt, dass andere es nachmachen und es schließlich zum Standard für ganze Industriezweige erhoben wird.

ver.di PUBLIK | Hat sich Apple eigentlich schon bei ihnen gemeldet?

Gerlach | Bei mir nicht, aber bei den Handydoktoren. Die haben sich bei denen beschwert, warum die so arrogant seien und meinen, Apple könne die eigenen Geräte nicht reparieren. Apple hat wohl unterschätzt, dass es so eine Art "Do it yourself"-Reparaturhype gibt. Es gibt viele Leute, die sich treffen und alte Kaffeemaschinen reparieren oder den alten Fön, darum gibt es inzwischen einen regelrechten Kult. Und es kann sein, dass dieser Kult inzwischen größer ist als dieser Apple-Konsumkult.

ver.di PUBLIK | Die Fabrik des chinesischen Produktpiraten erinnert stark an die illegalen Drogenküchen in der mexikanischen Wüste, wie man sie aus der TV-Serie Breaking Bad kennt.

Gerlach | Apple versucht auch, diese Leute aufzuspüren. Eine ähnliche Fabrik wurde neulich plattgemacht, und die Folgen waren bis nach Hamburg spürbar. Der Markt war sofort hysterisch, Displays erreichten astronomische Summen, weil die ständig gebraucht werden, aber Apple nichts rausrückt. Und die Geschichte ist für die Betreiber solcher Fabriken außerordentlich gefährlich, weil in China die Fälschung von Waren gängige Praxis ist, aber wenn so ein großer Player wie Apple verärgert über solche Fälschungen ist, dann wird etwas unternommen. Da droht Arbeitslager und Schlimmeres.

ver.di PUBLIK | Was war denn für Sie der aufregendste Moment an diesem Film?

Gerlach | Als ich dem Besitzer dieser Ersatzteilfabrik den Film gezeigt habe. Ich fragte mich: Was wird er jetzt sagen?

ver.di PUBLIK | Und, was hat er gesagt?

Gerlach | Dass er jeden anderen sofort rausgeschmissen hätte, wenn der zu ihm gekommen wäre und ihm gesagt hätte, er sei ein Ausbeuter. Da ihm das aber so in Filmform mitgeteilt wurde, wollte er das überdenken. Das fand ich natürlich stark.

Der Dokumentarfilmer Rasmus Gerlach ist ver.di-Mitglied und hat bereits in enger Zusammenarbeit mit dem ver.di-Team Schwarzbuch Aldi einen Film über die Unternehmensstrukturen des Discounters gedreht. Aldi - Mutter aller Discounter läuft unerlaubt, aber erfolgreich auf youtube, ein zweiter Teil ist geplant.

Kinostart Apple Stories: 22. August 2013

www.realfictionfilme.de/filme/apple-stories/index.php

"Das sind winzige Teile, die man nur mit einem fünfzackigen Schraubenzieher drehen kann. Den hat man eigens bei Apple erfunden, damit niemand das Gerät einfach so aufschrauben kann"