Ausgabe 05/2013
Kein Paradies, nirgends
Allein der Name des Bahnhofs ist eine Verheißung: Jena Paradies. Hier steigt aus, wer mit den Fernverkehrszügen der Bahn in die thüringische Universitätsstadt kommt. Und paradiesisch kann man es in Jena durchaus finden. In einem Talkessel gelegen, umgeben von Weinbergen und Sandsteinhängen, mit hübschem altem Marktplatz und netten Kneipen lässt es sich hier gut aushalten. Das finden auch die vielen jungen Leute, die das Stadtbild prägen: Nahezu ein Viertel der insgesamt 106.000 Einwohner/innen Jenas sind Studierende.
Höllische Schwierigkeiten
Die meisten finden es ziemlich idyllisch hier - vorausgesetzt, sie haben eine Wohnung. Doch wer gerade eine sucht, kann sich auf höllische Schwierigkeiten einrichten.
Denn Jena hat ein Problem: Die Stadt kann nicht annähernd genug preiswerten Wohnraum bieten. Seit Jahren stöhnen die Einwohner über steigende Mieten und viel zu wenig Wohnungsneubau. Und gerade erst bescheinigte die Bertelsmann-Stiftung der Stadt, vor allem für Familien ein besonders teures Pflaster zu sein: Einer vierköpfigen Familie mit zwei Kindern blieben nach der Überweisung der Miete in Jena rechnerisch nur 666 Euro zum Leben übrig - ein Betrag weit unter der Grundsicherung. Das Verhältnis von Einkommen zu Wohnungsmiete, so das Ergebnis der Studie, ist in keiner der insgesamt 100 untersuchten Städte schlechter.
Anke Dassler überrascht das nicht. Sie ärgert sich schon lange über die Wohnungspolitik des Jenaer Rathauses. Sie selbst wohnt mit ihrem Sohn in einem halbsanierten Plattenbau im fünften Stock ohne Fahrstuhl. Das Bad hat sie selbst gefliest, Luxus gibt es in ihrer Wohnung nicht. Und trotzdem ist sie froh: "Ich habe noch einen alten DDR-Mietvertrag und zahle pro Quadratmeter fünf Euro kalt. Das ist günstig. Woanders müsste ich viel, viel mehr zahlen." Ihr Sohn ist inzwischen 22, eigentlich in einem Alter, in dem er sich eine eigene Wohnung suchen könnte. "Aber da müsste er monatlich rund 350 Euro auf den Tisch legen", sagt die Mutter, das könne er sich nicht leisten.
Anke Dassler weiß, wovon sie redet. Sie arbeitet für ein Immobilienunternehmen in Jena, das Wohnkonzepte entwickelt und Bauträger, Investoren und Bauherren zusammenbringt. Sie ist davon überzeugt: "Die Probleme in Jena sind hausgemacht. Man könnte sie lösen, wenn sich Stadtrat, Stadtverwaltung, Wohnungsgenossenschaften und private Investoren an einen Tisch setzen würden. Das passiert aber nicht."
Doch dass es ein Problem gibt, räumt inzwischen auch die Stadtverwaltung ein. Anfang der 2000er Jahre, als alle Prognosen einen Bevölkerungsschwund voraussagten, hatte man in Jena viele der riesigen Plattenbauten abgerissen. Gleichzeitig verkaufte die Stadt mehr als 13.000 Wohnungen aus dem kommunalen Bestand an die Stadtwerke, die eine jährliche Rendite von 5,5 Prozent erwirtschaften müssen - und denen damit sowohl hohe Kaltmieten als auch hohe Betriebskosten zugute kommen.
Auch nachdem die Einwohnerzahlen wieder stiegen und sich die Stadt zu einem wichtigen Forschungs- und Wissenschaftsstandort mit vielen Ausgründungen und Start-ups gemausert hatte, verpasste man die Chance, rechtzeitig wieder vorausschauenden Wohnungsbau zu betreiben. Inzwischen liege der Leerstand in der Stadt bei unter einem Prozent, sagt Diana Gelbhaar, Juristin beim Jenaer Mieterverein. "Vor allem Alleinerziehende, Geringverdiener und junge Familien haben ein wirkliches Problem, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wir sind inzwischen bei Mieten zwischen acht und zehn Euro pro Quadratmeter. Die Löhne in Thüringen sind deutschlandweit aber am niedrigsten." Dass diese Rechnung nicht aufgehe, liege auf der Hand. "Eigentlich wäre die Zeit reif für sozialen Wohnungsbau. Da will die Stadt aber noch nicht ran."
Fair wohnen in Jena
Und nicht nur Familien mit kleinen Kindern suchen nach bezahlbarem Wohnraum. Jena belegt zwar verlässlich in allen Hochschulrankings vorderste Plätze, kann seinen Studierenden aber nicht ansatzweise ausreichend Unterkünfte bieten. Wer in der Unistadt, die mit kurzen Wegen wirbt, studieren will, ist oft gezwungen, ins Umland oder in die Nachbarstädte Gera, Saalfeld oder Apolda auszuweichen.
Menschen, die in Jena Familie und Arbeitsplatz haben, können sich das oft weder zeitlich noch materiell leisten. Auch Ulrich Müller lebt seit vielen Jahren in der Stadt. Immer wieder ärgerte sich der ehemalige Unternehmer über die Mietsteigerungen seiner Wohnungsgenossenschaft. Nun, als Rentner mit Zeit, will er die nicht länger einfach nur hinnehmen und gründete den Verein "Faires Wohnen in Jena". Genossenschaften und Wohnungsunternehmen begründeten die Preistreiberei allzu oft mit dem Argument, man orientiere sich nur am Mietspiegel, sagt Müller. "Wenn dann städtische Wohnungen mit einer Kaltmiete von 9,50 Euro pro Quadratmieter angeboten werden sollen, ist das doch aber nicht mehr sozial." Vom Wohnparadies jedenfalls ist Jena derzeit weit entfernt.