ver.di PUBLIK | Rund 70 Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs haben seit der Brandkatastrophe von Rana Plaza das Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch unterschrieben. Was verändert sich jetzt in der Textilindustrie?

Johann Rösch | Teil des Abkommens ist, dass in den Betrieben Gewerkschaftsgruppen gegründet werden dürfen. Das geschieht jetzt; die ersten sind in Textilunternehmen ins Leben gerufen worden. Parallel läuft die Umsetzung des Abkommens auf Hochtouren. Betriebliche Arbeitsschutzkomitees bilden sich, die die Arbeitsbedingungen kontrollieren. Neu ist, dass auch Näherinnen dabei sind, dass sie das Recht haben, die Arbeit niederzulegen, wenn sie gravierende Mängel finden. Wenn die Arbeitgeber die Mängel nicht beheben, greifen übergeordnete Komitees ein. Es ist das erste Mal, dass die Arbeiterinnen so die Chance haben, ohne Angst aufzutreten und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Die tragischen Unfälle, bei denen weit mehr als 1000 Menschen ums Leben gekommen sind, haben das Sicherheitsbewusstsein im Land verschärft. Große Demonstrationen haben das gezeigt.

ver.di PUBLIK | Allein bei der Katastrophe von Rana Plaza starben 1132 Menschen, mehr als 1500 wurden schwer verletzt. Wie steht es um die von den Gewerkschaften geforderten Entschädigungszahlungen?

Rösch | Das ist ein großes Problem. Die Gewerkschaften fordern für jede tote Näherin für die Familie eine Summe von umgerechnet 28.000 Euro, für Schwerverletzte 5000 Euro. Das Geld wird dringend gebraucht, weil zum Beispiel Arztrechnungen bezahlt werden müssen. Es soll von der Regierung in Bangladesch, dem Arbeitgeberverband, den Produzenten vor Ort und den Auftraggebern in Europa und den USA gezahlt werden. Doch die Auftraggeber weigern sich, das anzuerkennen. Nur zu Spenden für karitative Einrichtungen sind sie bereit, aber das Geld landet dann nicht bei denen, die es brauchen. Im September findet in Bangladesch eine Entschädigungskonferenz statt. Die Firma Adler Moden zum Beispiel will aber daran nicht teilnehmen. Ihr Argument: Sie habe nicht direkt Aufträge an die Firma vergeben, in der das schreckliche Unglück passierte. Nicht direkt, das stimmt, es lief über Subunternehmer. Für die Gewerkschaft der Textilarbeiter/innen in Bangladesch (NGWF) ist es deshalb besonders wichtig, offenzulegen, wer wo produzieren lässt.

ver.di PUBLIK | Was sind die nächsten Vorhaben des ExChains-Projekts?

Rösch | Wir laden im Herbst zu einer Multiplikatorenkonferenz in Deutschland ein. Auf der wollen wir Betriebsräte und andere Interessierte aus den Handelsunternehmen über die Umsetzung des Abkommens informieren, damit auch die Beschäftigten in den Betrieben dann erfahren, was bisher geschehen ist. Wir wollen für die Näher/innen in Bangladesch einen Lohn durchsetzen, von dem sie leben können. Sie erhalten zurzeit umgerechnet 31 Euro im Monat, wir fordern 50 Euro mehr. Dieser Betrag soll von den Auftraggebern durch faire Einkaufspreise bezahlt werden. Die NGWF hat errechnet, dass das die zum Leben nötige Mindestsumme ist. Die Regierung hat zwar angekündigt, demnächst einen gesetzlichen Mindestlohn zu beschließen, aber der wird vermutlich zu niedrig sein.

ver.di PUBLIK | Die US-Regierung hat Zollvergünstigungen für Bangladesch gestrichen, weil die Sicherheitsstandards dort nicht hoch genug sind. Was hält ExChains davon?

Rösch | Es ist falsch. Gut wäre gewesen, wenn Obama Einfluss auf WalMart und GAP genommen hätte, riesige US-Unternehmen, die das Brandschutz- und Sicherheitsabkommen bisher nicht unterschrieben haben.

Interview: Claudia von Zglinicki

"Es ist das erste Mal, dass die Arbeiterinnen die Chance haben, ohne Angst aufzutreten und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen"