Zwei Straßenmusiker ohne Obdach singen für eine Revolution und erhalten dafür einen dicken Plattenvertrag. Ob das gutgeht?

Carl Luis Zielke (li.) und Elias Gottstein nehmen das Leben leicht...

von Eckhard Geitz

Urplötzlich sind Carl Luis Zielke und Elias Gottstein in diesem Sommer zu Medienstars geworden. Die Gesichter der beiden obdachlosen Schulabbrecher lächelten entsprechend fröhlich von Titelseiten und auf Bildschirmen aller Art, um den Dokumentarfilm Unplugged: Leben Guaia Guaia, aber auch ihr erstes Album Eine Revolution ist viel zu wenig zu bewerben. Unter dem Namen Guaia Guaia produzieren die Zwei Ohrwürmer gegen das Establishment und haben es ausgerechnet damit zu einem Vertrag beim Branchenriesen Universal Music gebracht. Das passt auf den ersten Blick kaum zu ihren Klamotten, die sich die beiden selbsternannten "Superpenner" aus der Altkleidersammlung ziehen.

Leben auf der Straße

Zu ihrem technischen Equipment gehört eine Musikanlage in umgebauten Mülltonnen. Luis und Elias, beide 20 Jahre alt, leben freiwillig ein Leben ohne Obdach, schlafen mal unter Brücken, mal in leerstehenden Häusern und nach Konzerten hin und wieder auf der Couch bei Fans oder Freunden. Wohnungslosigkeit und Unsicherheit ist der Albtraum vieler Menschen; Guaia Guaia machen daraus ein Lebensprinzip, oder auch aus der Not eine notwendige Tugend: "Unterwegs zu sein, heißt für uns, frei zu sein. Wir leben in Bewegung. Eine eigene Wohnung zu haben, wäre uns zu stressig. Wir brauchen nicht viel. Das macht uns unabhängig." So sieht Elias den Weg, für den sich die beiden Musiker entschieden haben. "Wir reisen, machen Musik in Fußgängerzonen und besorgen uns manchmal unsere Mahlzeiten aus Containern. Noch essbare, aber von Supermärkten entsorgte Lebensmittel sind uns gut genug."

Hinter Gittern

Der Filmemacher Sobo Swobodnik fand das spannnend genug, begleitete die beiden zwei Jahre lang auf ihren Touren und hielt ihr Leben in der Doku Unplugged: Leben Guaia Guaia fest. Der 94-minütige Film zeigt die Vagabunden unterwegs von Stadt zu Stadt. In Oberammergau fällt verdutzten Passanten die Kinnlade herunter, als sie ein Straßenkonzert der beiden Jungs sehen, die aus einer ganz anderen Welt zu kommen scheinen und die Staunenden danach fragen, ob sie wohl in einer ihrer Scheunen unterkommen könnten. Die Kinozuschauer werden zu Zeugen, wie zu Übernachtungszwecken ein gut beheizter, abgestellter Zug geknackt wird. Im Publikumsgespräch nach der Kinopremiere in Berlin wird thematisiert, wie man Strom abzapfen kann - und zwar nicht der moralische Aspekt, sondern die konkrete technische Umsetzung, wie sie im Film zu sehen war.

Guaia Guaia sind widerspenstig und wecken die Lust am Aufruhr. Stress mit der Polizei kennen Carl Luis und Elias inzwischen zur Genüge; oft gibt's Ärger wegen Ruhestörung oder ihrer kreativen Art, sich vorübergehend Wohnraum zu verschaffen. Dass ihnen aber ein Polizeieinsatz die Party zur Veröffentlichung ihrer ersten CD im Anschluss an die Kinopremiere vermasseln würde, das hatten sie nicht erwartet: "Seitdem wir etwas bekannter geworden sind, ist die Polizei etwas netter zu uns", hatte Carl Luis die Situation noch vor dem unangemeldeten Auftritt eingeschätzt. Das Konzert am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz wurde allerdings sehr rasch durch einen ruppigen Einsatz der Ordnungskräfte beendet, weil die Musiker keine Angaben zu ihrer Person machen wollten. Sie ließen sich nicht ohne weiteres wegschicken und verbrachten die nächsten Stunden hinter Gittern. Die Party zu Film und CD fiel flach.

Mit ihren Protestsongs mit der Leichtigkeit von Hip Hop, Reggae und Elektrobeats spielen Guaia Guaia für Freiheit, Offenheit und ein angstfreies Leben ohne verordneten Leistungsdruck. Der tiefe Sprechgesang von Carl Luis Zielke mischt sich unter Elias Gottsteins näselnden Gesang. Posaune, Gitarre, Samples von Streichern und Bläsern - eine wilde Mischung, die funktioniert.

...auch wenn die Polizei etwas gegen ihre Konzerte hat

In ihrem Song Analphabet wüten sie gegen Monsanto, CDU und Facebook, wo fast täglich neue Posts von ihnen zu lesen sind. Guaia Guaia lassen alle Autos hochfliegen, alle Flugzeuge runterkommen und haben im Album-Titel eine Art kategorischen Imperativ formuliert: Eine Revolution ist viel zu wenig. Und sie meinen damit: Es reicht nicht, die Dinge nur einmal zu drehen, zu ändern und umzustürzen. Es kommt darauf an, sie permanent zu ändern.

Auf der Couch

"Straßenmusik ist hart." Dieser Satz markiert im Film über die beiden eine Wende. Es ist eben nicht nur traumhaft, als Straßenmusiker frei durch die Welt zu ziehen. Nicht immer kommt man zufällig über analoges Couchsurfing in netten WGs unter. Regen, Kälte, kein Publikum, Stress mit Polizei und Behörden sind die ungemütliche Seite des Lebens auf der Walz.

Durch den unerwarteten Ruhm aber hat sich einiges verändert bei den beiden. Einen festen Wohnsitz haben sie zwar immer noch nicht, aber sie haben sich in den Strudel des medialen Mainstreams geworfen. Pressetermine, Videoproduktionen, eigener Manager. Wie Fremdkörper saßen Guaia Guaia auf der Couch bei TV Total. Elias lächelte freundlich, während sich Luis herumlümmelte. Irgendwie konnte auch Stefan Raab nicht viel mit ihnen anfangen. Sie präsentierten ihr Stück Terrorist für die Teilnahme am Bundesvision Song Contest. Die Fangemeinde auf Facebook reagierte teilweise entsetzt über die Beteiligung am Kommerz. Guaia Guaia können inzwischen ein Millionenpublikum erreichen. Aber wollen sie das? Oder doch lieber Revolution? Zwei Wochen vor dem Song Contest im vergangenen Mai war sich Luis nicht sicher: "Wir wissen noch nicht genau, wie wir sowas in Zukunft handhaben."

Dokumentarfilm: Unplugged - Leben Guaia Guaia, D 2012, 94 Min; Regie: Sobo Swobodnik; Musik: Guaia Guaia; Darsteller: Elias Gottstein, Carl Luis Zielke

CD: Eine Revolution ist viel zu wenig, Universal Music