Ausgabe 07/2013
Da muss was drin sein
Ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn kostet keine Arbeitsplätze. Als Haltelinie nach unten ist er dringend nötig
4. August 2013: Endspurt der Kellner beim jährlichen Lauf der Hotelfachkräfte in Berlin
von Maria Kniesburges
Deutschland ist ein reiches Land. Aber die Verteilung stimmt nicht: Die Vorstandsmitglieder der börsennotierten Konzerne verfügen über ein Einkommen, das im Schnitt 53-mal so hoch ist wie das eines durchschnittlich eingruppierten Angestellten im gleichen Konzern. Das hat gerade erst eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergeben. Die Politik der radikalen Umverteilung nach dem Motto "Von unten nehmen, nach oben geben" hat dem Land eine neue deutsche Teilung beschert.
Eine verbindliche Untergrenze
Und in dem einen Teil gedeiht der Niedriglohn. Beschämend sind die Zahlen, die Arbeitsmarktforscher seit Jahren schon zur Lage in Deutschland vermelden müssen: Knapp drei Millionen Beschäftigte verdienen weniger als sechs Euro die Stunde und knapp sieben Millionen weniger als 8,50 Euro, wie das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen ermittelt hat. Die Zahl der Beschäftigten, die ihre niedrigen Löhne mit staatlicher Hilfe aufstocken müssen, beträgt nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit rund 1,3 Millionen. Laut Statistik der Bundesagentur darunter 350.000 Beschäftigte, die Vollzeit arbeiten.
"Notwendig wäre ein gesetzlicher Mindestlohn als verbindliche Untergrenze, die in keiner Branche unterschritten werden dürfte und für alle Beschäftigtengruppen gelten müsste", sagt dazu der Arbeitsmarktforscher Thorsten Kalina vom IAQ. Ein flächendeckender, gesetzlich festgeschriebener Mindestlohn, wie die Gewerkschaft ver.di ihn seit 2006 schon fordert - und inzwischen alle DGB-Gewerkschaften. Mit stetig wachsender Zustimmung aus der Bevölkerung: Mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten den gesetzlichen Mindestlohn, wie mehrere Umfragen ergaben.
Angesichts dieser eindeutigen Mehrheit im Land, die das Geschäftsmodell Niedriglohn ablehnt, zeigen mittlerweile auch die Unionsparteien Gesprächsbereitschaft. Der Mindestlohn ist eines der zentralen Themen in den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD. Allerdings stehen Union und Sozialdemokraten für zwei fundamental unterschiedliche Konzepte. Die Unionsparteien sprechen von Lohnuntergrenzen, die in den Branchen und Regionen unterschiedlich hoch sein können, will heißen: hier 6,80 Euro, dort 8,50 Euro und wieder andernorts 5,90 Euro, womöglich sogar noch nach Ost und West unterteilt. Ein Konzept von Lohnuntergrenzen, so der Arbeitsmarktforscher Kalina, das "deren Durchsetzung und Überprüfung erheblich erschweren würde".
Drohkulisse ohne Beleg
Die SPD dagegen hat im Wahlkampf versprochen, an ihrer Forderung nach einem bundesweit einheitlichen, gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 8,50 Euro festhalten zu wollen. Bei Redaktionsschluss war noch kein Ergebnis zum Mindestlohn aus den Koalitionsverhandlungen bekannt.
Begleitet werden die Verhandlungen von schrillen Warnrufen aus den Arbeitgeberverbänden: Der Mindestlohn werde zu massenhaftem Arbeitsplatzverlust führen. Eine Drohkulisse ohne Beleg. In Staaten wie etwa Großbritannien, die den einheitlichen Mindestlohn längst haben, hat er nicht zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, wie Studien immer wieder zeigen. Aber es geht ja um nicht weniger als um ein florierendes Geschäftsmodell: Wettbewerb per Niedriglohn, und der Staat stockt aus Steuergeldern auf.