Ausgabe 07/2013
Untereste Stufe: Arbeiterstrich
Unterste Stufe: Arbeiterstrich
Im Handel werden nicht nur Hemden billiger, Beschäftigte auch
Es war einmal eine Republik, in der das Normalarbeitsverhältnis herrschte. Trotz seines hässlichen Namens war es sehr beliebt. Man arbeitete von der Ausbildung bis zur Rente recht gut geschützt durch Tarifverträge, meist mit einem Betriebsrat im Rücken. Eine solide Lebens- und Familienplanung war möglich. Aber die Zeiten haben sich dramatisch geändert. "Prekär", so lautet die neue Bezeichnung für Arbeit, von der nur Ungewissheit und permanenter Geldmangel ausgehen: Befristung, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung, Niedriglöhne. Viele müssen trotz Arbeit staatliche Leistungen beantragen, um über die Runden zu kommen. Der Staat subventioniert also Unternehmen, die keine anständigen Löhne zahlen.
Man stelle sich vor: Jeder fünfte Beschäftigte bezieht in Hessen nur einen Niedriglohn. Ganz unten fängt es an im Frankfurter Ostend, einst verrufen, heute gentrifiziert, es lebt also die bessere Gesellschaft dort. Aber in der Sonnemannstraße gibt es einen Markt, auf dem sich täglich Tagelöhner anbieten - hauptsächlich aus Osteuropa. Wenn im Sommer auf dem Bau Hauptsaison ist, kann man für die staubigsten Arbeiten um den eigenen Preis feilschen. In der Hoffnung, die Familie zu Hause besser versorgen zu können. Im Jargon nennt man diese Straße "Arbeiterstrich". Wer bis zehn Uhr morgens keinen "Freier" gefunden hat, geht den ganzen Tag leer aus.
Es bleibt nur Teilzeitarbeit
Wenn auch auf einer anderen Stufe, aber letzten Endes nicht sehr viel besser dran ist die Einzelhandelsverkäuferin, die nach Jahren der Kindererziehung wieder in den Beruf zurückkehren will. Familiengerechte Arbeitszeiten sind in dieser Branche aber ein Fremdwort. Lange Öffnungszeiten und Schichten kann man mit Familie schwer absolvieren. Bleibt die Teilzeitarbeit, mit der man kaum die Gegenwart, auf keinen Fall aber das Rentenalter bewältigen kann. Altersarmut ist ein Frauenthema. Abgesehen davon, dass das Geld auch heute nur reicht, wenn man in einer funktionierenden Partnerschaft lebt. Das zeigt auch, wie wichtig die aktuelle Tarifbewegung im Einzelhandel ist.
Für die Gewerkschaften ergeben sich daraus zentrale Forderungen: Unabdingbar sind ein gesetzlicher Mindestlohn, die Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse, die Sozialversicherungspflicht bei Minijobs, die Vergabe öffentlicher Aufträge ausschließlich gemäß Tariftreue- und Vergabegesetz. Alle diese Regelungen müssen kontrolliert werden. Ziel soll es sein, den Menschen die Würde der Arbeit zurückzugeben.
Kostenfrei, aber wertvoll
Das alles und noch viel mehr ist nachzulesen in einer Broschüre, die der DGB Hessen zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben hat, unterstützt von ver.di Hessen, verfasst von Ute Fritzel und Kai Eiker-Wolf. Die Broschüre lässt Beschäftigte aus den wichtigsten Bereichen der prekären Arbeit zu Wort kommen, liefert übergreifende Informationen aus Hessen und dem Bundesgebiet und ist sehr ansprechend gestaltet. Diesmal ist der Grundsatz umgekehrt: Obwohl sie nichts kostet, ist sie wertvoll. Zu bestellen beim ver.di-Landesbezirk Hessen (siehe oben).