Der Held der Arbeiter

Woody Guthrie: Haus aus Erde | Woody Guthrie, die US-Folk-Legende, starb 1967. Zeitlebens setzte er sich für die Arbeiterklasse ein, kritisierte deren Ausbeutung durch Unternehmer und forderte mehr Unterstützung für Zuwanderer, Flüchtlinge und Arbeitslose. Guthrie spielte live auf Baustellen und gab Benefizkonzerte für Gewerkschaften. Was bei seinem Tod niemand ahnte: Der Held der Proletarier hatte 1947 einen Roman geschrieben, Haus der Erde. Dieser kleine literarische Schatz wurde erst jetzt entdeckt. Er spielt im ländlichen Texas der 1940er Jahre.

Staubiger Wind pfeift über das flache Land rund um den Caprock, einer hohen Felswand inmitten der Lower und Upper Plains bei Pampa. In den Höhlen und Canyons hausen Fledermäuse, Skorpione und Eidechsen. Ella May und Tike schlagen sich als Bauern auf ausgedörrtem Pachtgrund durch. Während Grundbesitzer ihren Reichtum vergrößern, droht einer ganzen Generation von armen Arbeitern bittere Armut - vor diesem geradezu aktuellen Hintergrund zeigt Guthrie das Schicksal seiner Protagonisten. Die klapprige Holzhütte mit Schlammboden ist eine Zumutung für das junge Ehepaar. Und so träumen Ella May und Tike von einem Haus aus Lehmziegeln, damals etwas geradezu Revolutionäres. Woody Guthrie geht ganz nah ran an seine Hauptfiguren, und er gibt ihre Dialoge in deren ruppigem, neckischem O-Ton wieder. Dann begibt er sich wieder in die Rolle des Erzählers - und schildert einfühlsam den Schmerz des Ehepaares, ihren Stolz, ihre Lebensfreude. Er zeigt ihren Kampf gegen die Naturgewalten und die scheinbar unveränderliche Realität: oben die Wohlhabenden, unten die sozial Schwachen, sie selbst. "Die Hütte und der Kuhstall, all das gehörte ihnen eigentlich nicht. Nein. Das alles gehörte einem Mann, der sein Land noch nie betreten hatte. Gehörte jemandem, der sich einen Dreck darum scherte."

Dass die Oberschicht die Proletarier durch ungerechte Pachtverträge ausbeuten darf, bezeichnet Tike als "System der Sklaverei". Eine Krankheit sei das, und ähnlich verwerflich wie die Rassentrennung und der Klu Klux Klan. Doch Woody Guthrie kann auch anders; er wagt die wohl längste und detaillierteste Sex-Szene der 1940er-Jahre. Ein außergewöhnliches Buch, in dem sich ländlicher Realismus, sozialpolitisches Drama und die poetische Darstellung der Natur vermischen. Günter Keil

EICHBORN, 304 S., AUS DEM AMERIKANISCHEN VON HANS-CHRISTIAN OESER, 16,99 €


Magda Hollander-Lafon: Vier Stückchen Brot | "Wir alle sind Verwundete des Lebens." Das schreibt die ungarische Jüdin Magda Hollander- Lafon, obwohl sie mehr erlitten hat als andere Menschen. Sie selbst überlebte Auschwitz, doch wurde ihre ganze Familie ermordet. Sie hatte nun zu wählen: "Menschsein oder ewiges Opfer?" - so formuliert sie in ihrem jetzt auf Deutsch vorliegenden Buch die Alternative. Dass sie sich gegen die Opferrolle entscheiden konnte, hat sie einem Geschenk zu verdanken, das auch ein Vermächtnis war: Die vier Stückchen Brot des Buchtitels waren die Gabe einer Sterbenden im Konzentrationslager, die zu ihr sagte: "Nimm. Du bist jung. Du musst leben." Und sie zur Zeugenschaft aufrief. Aber dieses Buch ist viel mehr als ein Erlebnisbericht, es ist - wie der deutsche Untertitel sagt - eine "Hymne an das Leben". Die Autorin will damit denjenigen die Treue halten, die nicht überlebten. Bettina Klix

ADEO VERLAG, 2013, 142 S., AUS DEM FRANZÖSISCHEN VON MICHAEL KOGON, 12,99 €


Jörg-Uwe Albig: ueberdog | Wann die Hamburger Elbphilharmonie fertig gestellt sein wird, ist noch ebenso wenig absehbar wie die Kosten, die mittlerweile beiderzeit 800 Millionen Euro liegen. Bevor dort der erste Ton die ansonsten wenig kulturinteressierten Pfeffersäcke entzückt, ist sie jedoch schon Gegenstand von Jörg-Uwe Albigs Roman ueberdog, in dem der ehemalige stern-Redakteur erzählt, wie die Society-Fotografin Stella Sachs auf einer Vernissage Obdachlosen begegnet und die Welt daraufhin mit anderen Augen sieht. Mit dem Florett und nicht mit dem Degen beschreibt Albig, wie dieser Kontakt ihr Leben verändert und sie nach und nach der Gesellschaft entwurzelt und entfremdet. Mit ihren neuen Freunden streift sie durch die City und macht sich ein anderes Bild von Hamburg und vom Leben — um am Ende zu erkennen, dass sie doch nicht zu denen gehört, die ihr längst mehr bedeuten als all die coolen Schönlinge, Event-Veranstalter und hippen Werbefritzen. Albigs Utopie, dass sich Obdachlose die Stadt zurückerobern und ausgerechnet auf der Baustelle des Nobeltreffs für die oberen Zehntausend Partys feiern, weist ihn einmal mehr als präzisen Beobachter aus - und als sprachgewaltigen Visionär. Hollow Skai

TROPEN, 223 S., 19,95 €


Monika Geier: Die Hex ist tot | Es gibt Serienheldinnen in der deutschen Kriminalliteratur, die vermisst man schon, wenn man ihren jüngsten Fall gerade gelesen hat - und erst recht, wenn man vier Jahre warten muss, bis man sie wieder trifft. Zu diesen liebenswürdigen Figuren zählt Monika Geiers pfälzische Kriminalkommissarin Bettina Bolt, die nun in ihrem 6. Fall ermitteln darf: Was zunächst nur ein merkwürdiger Streich zu sein scheint - jemand stemmt Gullydeckel auf - entpuppt sich als grausige Mordserie, denn in den Kanalschächten stecken grotesk hergerichtete Frauenleichen. Bolt ist eine zutiefst sympathische, wunderbar alltägliche, wenngleich besonders kluge und einfühlsame junge Frau, die die beiden Kinder ihrer verstorbenen Schwester aufzieht und, ach ja, hin und wieder einer großen Liebe begegnet. Geier zählt zu den Autor/innen, die ihre raffinierten Plots mit starken, glaubwürdigen, vielschichtigen Charakteren bevölkern können. Das Tableau der Verdächtigen und Versehrten, Verstörten und Verführten ist grandios aufgestellt. Und obwohl der Fall grauenhaft ist und die Ermittlungen sich äußerst kompliziert gestalten, verliert sich Geier nicht in schwarzer Düsternis. Sie gibt dem Humor ebenso Raum wie den Jugenderinnerungen ihrer Protagonistin und dem Stress einer Alleinerziehenden, die gerade gar keine Zeit für ihre Kids hat, weil schon wieder eine Leiche entdeckt wurde. Nie kommt sie zum Einkaufen, geschweige denn zum Essen. Die Menschenkennerin. Für den 7. Fall lässt sich Geier hoffentlich nicht wieder vier Jahre Zeit. Ulla Lessmann

ARGUMENT-VERLAG, 363 S., 12 €