Beim Ratschlag treffen verschiedene soziale Kulturen aufeinander

von Birgit Tragsdorf

Für die einen ist es ein Weiterbildungstreffen, für andere eine Plattform, ein Diskussionsforum, ein Vernetzungstreffen oder einfach ein antifaschistisches Familienfest. Seit 23 Jahren trifft man sich in Thüringen einmal im Jahr um den 9. November herum zu einem antirassistischen und antifaschistischen Ratschlag. Gewählt wurde dieses Datum, um auch an die Pogrome der Nazis zu erinnern. Die ursprüngliche Tradition der Ratschläge geht auf die gewerkschaftlichen Strukturen der alten Bundesländer zurück. Die Thüringer Gestalter haben das Treffen mit Beginn der 1990er Jahre zu einem festen Termin entwickelt, anfangs um Naziaufmärsche zu verhindern; inzwischen ist daraus eine facettenreiche und dezentral organisierte Veranstaltung geworden. Im Ratschlag kommen Menschen zusammen, die ein Interesse an einer offenen und solidarischen Gesellschaft haben, in der alle Menschen ohne Angst anders sein dürfen.

Rolf Düber, er ist DGB-Sekretär, und Frank Lipschik, Bildungsreferent beim DGB, gehören mit zu den Organisatoren. "Wir haben einen kleinen festen Stamm, aber das Gros unserer Mitstreiter kommt aus den jeweiligen Regionen, in denen der Ratschlag stattfindet. Die Vorschläge stammen meist aus den Städten und Gemeinden Thüringens", sagt Frank Lipschik. Mal ist es eine starke rechte Szene oder es sind Vorfälle, die rassistische Hintergründe haben, die den Anlass geben, warum gerade an diesem Ort ein Ratschlag organisiert wird. Das Besondere sei das Zusammenwirken von verschiedenen bürgerlichen Bündnissen gegen Rechts, von Vertretern aus Kirchen und Gewerkschaften, Parteien und antifaschistischen Bündnissen, die im Austausch stehen und eine offene Auseinandersetzung führen.

Zwischen Bürgerbündnis und Antifa

Wollen gerade die bürgerlichen Bündnisse die Aufmärsche von Nazis verhindern und die Bevölkerung aufklären, so heißt es meist in der Antifa-Bewegung, dass Rassismus und Antisemitismus in den gesellschaftlichen Verhältnissen begründet sind und letztlich nur durch eine Veränderung der Gesellschaft beseitigt werden können.

Dieses Spannungsfeld hält der Ratschlag aus. Rolf Düber sagt: "Wir haben eine Atmosphäre des Respekts, wir führen verschiedene soziale Kulturen zusammen. Wir alle gehen Kompromisse ein und können uns auf tiefgehende demokratische Strukturen verlassen. Und wir halten auch verschiedene Meinungen aus."

Von Anfang an ist auch die Erfurter ver.di-Gewerkschaftssekretärin Undine Zachlot dabei. "Mir liegt der Ratschlag sehr am Herzen, weil wir so ein breites Spektrum haben. Hier diskutieren vom Schüler bis zur 87-jährigen politisch interessierten Dame alle achtsam miteinander."

Haben sie es in den Anfangsjahren mit ihnen geltenden Polizeieinsätzen und einer Gleichsetzung von faschistischem Terror mit antifaschistischem Engagement durch die CDU-Politik zu tun gehabt, entwickelt sich in Thüringen allmählich Akzeptanz.

Der diesjährige Ratschlag fand in Suhl statt, das sich in letzter Zeit auch zu einem Aktionsfeld der organisierten wie unorganisierten Naziszene entwickelt hat. Mit einem Mahngang zum Gedenken an die Opfer des Holocaust in dieser Stadt startete das Treffen. An den ersten beiden Novembertagen gab es für die Teilnehmer/innen Zeit zum Reflektieren im Auftaktplenum und zahlreiche Workshops über sozial benachteiligte Menschen, die aktuelle Situation von Migrant/innen in Suhl, über Diskriminierung im Betrieb, den Rechtspopulismus der AfD oder das Thema Schule und politische Bildung. Auf Interesse stießen auch Workshops zum anthroposophischen Weltbild, zur Frage, wie es nach dem NSU-Prozess weitergehen soll oder auch Fragen zu deutschen Burschenschaften und um neue Forschungsergebnisse und Berichte von Zeitzeugen über den antifaschistischen Widerstand in Suhl von 1933 bis 1945.

Auszeichnung abgelehnt

Der Thüringer Ratschlag sollte dieses Jahr mit dem Demokratie-Preis "Bündnis für Demokratie. Gegen Extremismus und Gewalt" geehrt werden. Das hat der Ratschlag jedoch abgelehnt, um damit gegen die sogenannte Extremismus-Theorie zu protestieren: Ein Diffamieren der Linken und ein Gleichsetzen von antifaschistischen Aktionen mit dem heutigen faschistischen Terror sehen die Mitstreiter als Verfälschung der Wirklichkeit und eine Verhöhnung von Opfern rechter Gewalt - in der Gegenwart und in der deutschen Geschichte.

www.ratschlag-thueringen.de