Oft sind es die gesellschaftlichen Eliten, die bei der Steuerfahndung auffallen. Steuerhinterziehung gilt leider oftmals immer noch als Kavaliersdelikt

Werner Stupka

Werner Stupka, 59, Vorsitzender der ver.di-Fachkommission Steuerverwaltung Bayern, arbeitet bei der Finanzverwaltung Nürnberg als Steuerfahnder.

ver.di publik - Was ist die Aufgabe eines Steuerfahnders?Werner Stupka - Wir werden tätig bei dem Hinweis, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt.

ver.di publik - Wer gibt die Hinweise?Stupka - Ein Großteil kommt aus dem privaten oder betrieblichen Umfeld. Das können entlassene Sekretärinnen oder Buchhalter sein, Verwandte oder Geschäftspartner - das ist sehr vielfältig. Aber wir bekommen auch Hinweise von unseren Prüfungsdiensten.

ver.di publik - Ist an den Hinweisen oftmals was dran?Stupka - In 95 Prozent der Fälle, die die Steuerfahndung prüft, führt die Prüfung zu einer Steuernachforderung und zu einem Strafverfahren.

ver.di publik - Gilt Steuerhinterziehung noch als eine Art Kavaliersdelikt?Stupka - Ja. Das sieht man daran, dass es die einzige Straftat ist, bei der sich die Straftäter am Stammtisch oder im Sportverein damit brüsten, dass sie den Staat betrogen haben.

ver.di publik - Fallen prominente Steuerhinterzieher auf, heißt es, der sogenannte kleine Mann schummelt doch auch. Besteht da ein Zusammenhang?Stupka - Wir haben nahezu keine Fälle, bei denen es um Lohnsteuerhinterziehung durch die Arbeitnehmer selbst geht. Der weitaus größte Teil der Steuerhinterziehung, die wir verfolgen, spielt sich im Bereich der betrieblichen Steuern ab. Es ist in weiten Teilen die gesellschaftliche Führungsschicht, die bei der Steuerfahndung auffällt.

ver.di publik - Wie kommt das?Stupka - Es ist festzustellen, dass sich ein immer größerer Teil der gesellschaftlichen Elite dem Steuerzahlen entzieht. Das Verantwortungsgefühl für das Gemeinwesen lässt nach. Dabei sind es die gleichen Leute, die Steuern hinterziehen und abends auf dem subventionierten Platz im Opernhaus sitzen.

ver.di publik - Ist es einfacher Steuern zu hinterziehen, wenn sie nicht direkt, vom Einkommen abgezogen werden?Stupka - Wir haben zwei Steuersysteme. Da ist der gläserne Arbeitnehmer, dem jeder Cent Lohnsteuer sofort vom Gehalt einbehalten wird und der beim Lohnsteuerjahresausgleich darum kämpfen muss, zu viel gezahlte Steuern zurückzubekommen. Und wir haben den unternehmerischen Bereich, in dem erst mal festgelegt wird, wie hoch Gewinn und Einnahmen wohl gewesen sind, und die Finanzverwaltung muss dann feststellen, was daran nicht stimmen kann. Wir müssen die Beweise antreten, wo Fehler sind und gegebenenfalls Prüfungen ansetzen.

ver.di publik - Warum werden umfassendere Prüfungen nur selten gemacht?Stupka - Wir haben ein ganz erhebliches Personalproblem in der Steuerverwaltung. Wenn wir bei Mittelbetrieben einen Prüfungsturnus in einer Größenordnung von 15 Jahren haben, ist das ein Zeitrahmen, in dem ein Großteil der Steuervergehen verjährt.

ver.di publik - Wie viele Betriebsprüfer/innen fehlen ungefähr?Stupka - Nach den Berechnungen der Arbeitgeber fehlen in Deutschland 3 700 Betriebsprüfer/innen und 600 Steuerfahnder/innen. Insgesamt fehlen 11 000 Steuerbedienstete. ver.di fordert, dass dieser Personalfehlbestand so schnell wie möglich aufgefüllt wird. Das ist der einzige Weg, um zu Steuergerechtigkeit und zu einer Umsetzung der geltenden Steuergesetze zu kommen.

ver.di publik - Woher kommt der hohe Fehlbestand?Stupka - Dieser Fehlbestand ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich angewachsen. Der politische Wille hat gefehlt, die Prüfungsdienste auf den Stand zu bringen, dass sie ihrer Aufgabe entsprechend Recht und Gesetz erfüllen können.

ver.di publik - Wie viel bringt ein Außendienstler ein?Stupka - Im Schnitt bringt eine Betriebsprüferin 1,2 Millionen Euro pro Jahr, ein Steuerfahnder 1 Million Euro. Das rechnet sich für den Staat absolut.

ver.di publik - Warum ist der Staat dann so zurückhaltend?Stupka - Hier wirkt der Länderfinanzausgleich kontraproduktiv. Mehrerträge müssen zum Teil abgegeben werden oder fließen bei den Empfängerländern nicht in den Haushalt ein. Hinzu kommt, dass schon mal gesagt wird, dass mittelständische Betriebe nur deswegen überleben können, weil nicht so viele Betriebsprüfungen stattfinden.

ver.di publik - Besteht die Gefahr, dass das Kapital, "das scheue Reh", abwandert?Stupka - Das Kapital orientiert sich daran, wo die besten Erträge und die besten Produktionsmöglichkeiten gegeben sind. Das ist Deutschland mit einem klar strukturierten Rechtssystem, mit einer klar strukturierten öffentlichen Verwaltung. Daher denke ich nicht, dass das Kapital das Land verlässt, wenn hier entsprechend Recht und Gesetz Steuerprüfungen stattfinden

ver.di publik - Wäre es nicht sinnvoll, dass Steuerfahndung eine Bundesaufgabe wird?Stupka - Nach der Verfassung ist der Steuervollzug Aufgabe der Länder. Eine deutliche bessere Vernetzung der Fahndungsstellen und der Finanzverwaltungen wäre allerdings notwendig.

ver.di publik - Was muss sich ändern, damit Steuerhinterziehung nicht mehr als Kavaliersdelikt verharmlost wird?Stupka - Es muss ein verändertes politisches Bewusstsein greifen. Dazu gehört, dass alle Mandats- und Leistungsträger und die gesellschaftlichen Eliten deutlich machen, dass Steuerhinterziehung Betrug an der Allgemeinheit ist. Hinzu kommt, dass das Instrument der Selbstanzeige, das eine Steuerhinterziehung berechenbar macht, abgeschafft werden muss. Das ist für ver.di der Ansatz, um Steuerhinterziehung zu dem zu machen, was sie eigentlich ist: ganz gemeiner Betrug.

Interview: Heike Langenberg

Leitkommentar Seite 15

Dabei sind es die gleichen Leute, die Steuern hinterziehen und abends auf dem subventionierten Platz im Opernhaus sitzen