Ausgabe 02/2014
Die Leiden des jungen Tardi
Jaques Tardi: "Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im StalagIIB" - Als Ritter der Ehrenlegion wollte Jacques Tardi dann doch nicht ausgezeichnet werden. 2013 lehnte der bereits mit den wichtigsten Comic-Preisen aus Frankreich, Deutschland und den USA dekorierte Künstler diese Ehrung des französischen Staates vehement ab. Bekannt ist Tardi vor allem für seine Darstellungen des Ersten Weltkriegs, der für ihn ein Elend aus Gehorsamkeit gegenüber einem gewissenlos agierenden Staatsgebilde darstellt. Zwar hat er ebenso viele Unterhaltungsstoffe in Szene gesetzt, die vorwiegend vor dem Hintergrund der Jahrtausendwende des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt sind, doch sogar in der Tardi-Serie Adeles ungewöhnliche Abenteuer taucht eine Figur aus seinen Werken über den "großen Krieg" auf.
Die obsessive Beschäftigung mit dem Thema hat familiäre Gründe: Tardis Großvater und Vater kämpften beide in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Anhand von Aufzeichnungen des Letzteren erzählt er in seinem neuen Werk von dessen entwürdigenden Erlebnissen als Kriegsgefangener in einem Stammlager der deutschen Wehrmacht. Mittels eines Kunstgriffs hat sich Tardi selbst mit eingebaut, um den dominierenden Textfluss des Vaters zu hinterfragen und den Eindruck einer illustrierten Biografie zu mindern.
Ein Comic, in dem Text und Bild sich gegenseitig ergänzen, ist es dennoch nicht geworden. So stellt sich der Wintereinbruch durch langsam zunehmenden Schneefall dar, ohne eigens vom Vater im Text erwähnt zu werden. Mitunter zeigen tote Tiere und Menschen in Landschaftsdarstellungen Kriegsgreuel auf, während der Vater noch die Ursachen dafür schildert. Doch weitestgehend beschränkt sich Tardi auf eine textgetreue bildliche Umsetzung. Und diese besticht durch eine der tristen Situation angemessene karge Nüchternheit und grafisch stilistische Vielfalt wie hingetupfte Rauchwolken oder Schattenrisse von attackierenden Bombern, die deren anonyme Bedrohlichkeit potenzieren. Seine Kunst der detaillierten Wiedergabe von Kriegsgerät, die durch den offenen und flächigen Zeichenstil bei den Figuren gebrochen wird, ist dabei ebenso hervorzuheben wie die subtile Farbgebung durch Tochter Rachel Tardi. Der zu Beginn rötlich gefärbte Horizont findet später ein räumlich verringertes Echo in den roten Hakenkreuzfahnen der besetzten Gebiete. So kündigt sich farblich betont deren baldiges Verschwinden und das der Nazis an - und damit auch ein Ende der Leiden des Kriegsgefangenen René Tardi. Oliver Ristau
ÜBERSETZUNG: CHRISTOPH SCHULER, COMIC, EDITION MODERNE 2013, 200 S., 35 €
Mei Matsuoka: Vom Wolf, der lieb sein wollte - Der Wolf, der diese Geschichte erzählt, ist kultiviert und belesen. Wir lernen ihn in seiner schönen Bibliothek kennen, vor dem Kamin sitzend, Tee trinkend, an einem Winterabend. Er sichtet all seine Bücher, die von Wölfen handeln, und die Bilanz ist niederschmetternd. Herr Wolf stellt sich nun selbst die Aufgabe, seinen Ruf zu retten, indem er die noch nie erzählte Geschichte vom lieben Wolf aufschreibt. An dieser Stelle verlässt das abenteuerlich und wunderschön bebilderte Buch das Haus des Erzählerwolfs und lässt die gerade von ihm erfundene Figur namens "Herr Lieber-Wolf" Spuren im Schnee verfolgen - um neue Freunde zu finden, wie dieser selber glaubt und sagt. Doch die Begeisterung der anderen Tiere, die er trifft, hält sich in Grenzen. In einer überraschenden Wendung macht die Geschichte klar, dass ein Wolf nicht nur mit Vorurteilen, sondern auch mit sich selbst zu kämpfen hat. Deshalb beginnt die Erzählung dann gleich noch mal von vorn. Bettina Klix
ÜBERSETZUNG: MICHAEL STEHLE, URACHHAUS, STUTTGART, 2013, 32 S., 14,90 €, AB 3 JAHREN
Sabina Altermatt: Bergwasser - Frauen bringen im Berg nur Unglück. Das ist die übereinstimmende Meinung der Tunnelbauer im neuen Krimi von Sabina Altermatt. Doch nun steckt die riesige Tunnelbohrmaschine in einem Schweizer Berg fest und muss repariert werden, und das ausgerechnet von einer Frau, der Freiburger Ingenieurin Julia Jansen. Kaum ist sie an ihrem Arbeitsplatz, häufen sich die Unglücke. Als dann auch noch die Statue der Schutzheiligen der Bergleute spurlos verschwindet und der Berg eine Leiche frei gibt, steht für die Arbeiter und die Dörfler fest: Der Berg wehrt sich gegen den Tunnel. Aus dieser Gemengelage aus Aberglauben, Fakten und polizeilicher Ermittlungsarbeit hat Sabina Altermatt einen spannenden Krimi gewebt, der viele überraschende Wendungen parat hält. Entgegen der sonst üblichen Besetzung bei Krimis tummeln sich in diesem Buch weder Superstars noch schräge Außenseiter, sondern Menschen mit Schwächen und Stärken. Dennoch ist dieser Krimi von der ersten Seite an fesselnd. Denn Altermatt streut Zweifel, wer steht für was, und kann Julia Jansen den Menschen, denen sie traut, wirklich trauen? Martina K. Schneiders
PIPER VERLAG, MÜNCHEN, ZÜRICH 2014, 222 S., 8,99 €
Franka Potente: Allmählich wird es Tag - Tim hat alles, was er braucht: einen gut bezahlten Job, Frau und Kind, ein tolles Haus in Los Angeles. Er könnte sein Leben im Schatten der Palmen genießen. Doch der 49-jährige Banker arbeitet zu viel, gierig nach Geld und Anerkennung. Und dann kommt auch noch die Finanzkrise. In kurzen, rauen Sätzen schildert Franka Potente Tims Kündigung und seinen darauf folgenden Absturz. Der Arbeitslose säuft, nimmt Drogen, feiert Sex-Partys und verliert den Bezug zum bürgerlichen Alltag. Seine Frau ist längst ausgezogen, und sein erwachsener Sohn distanziert sich von ihm. Ernüchtert blickt Tim auf das Trümmerfeld seines Lebens: "Ich habe immer nur gearbeitet. Die Zeit ist vorbeigerast." Immerhin wird ihm nun endlich bewusst, was durch seine Karrierefixierung verloren ging: Lebensfreude, Sinn, Familie, Freundschaften. Franka Potente zeigt in ihrem starken Debütroman, was passieren kann, wenn man ausgemustert wird. Darüberhinaus räumt sie schonungslos mit dem Klischee vom lebensfrohen "California living" auf: In Zeiten der Rezession helfen auch Sonne und Palmen nicht weiter.Günter Keil
PIPER VERLAG MÜNCHEN, 304 S., 19,99 €