„Dafür gibt es nur ein Wort: schäbig!”

Auch Saisonkräfte haben einen gesetzlichen Mindestlohn verdient, der kann bei ihnen jetzt aber mit Unterbringung und Verpflegung abgegolten werden

Ein historischer Schritt

Am 3. Juli 2014 beschloss der Bundestag die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland. Gezahlt werden müssen zukünftig mindestens 8,50 Euro pro Stunde. "Ein historischer Schritt", sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Seit mehr als zehn Jahren haben insbesondere ver.di und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für eine flächendeckende Lohnuntergrenze in Deutschland gekämpft, eine Untergrenze, wie sie in vielen anderen Ländern weltweit längst selbstverständlich ist. "Angesichts der Tatsache, dass derzeit noch mehr als fünf Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro bekommen, ist eine gesetzliche Lohnuntergrenze gegen Lohndumping und Ausbeutung überfällig", so Bsirske.

Doch die Freude über die Entscheidung, der Mitte Juli noch der Bundesrat zustimmen muss, ist nicht ungetrübt. Bis zu 2,5 Millionen Menschen, schätzt der ver.di-Vorsitzende, werden erst einmal nicht von den 8,50 Euro pro Stunde profitieren. Langzeitarbeitslose sollen in den ersten sechs Monaten einer neuen Tätigkeit ebenso von dieser Mindestsumme ausgenommen sein wie generell Jugendliche unter 18 Jahren. Kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes kamen auf Druck der Arbeitgeberlobby weitere Ausnahmen hinzu. Jetzt gilt er bei freiwilligen Praktika erst ab einer Dauer von drei Monaten, bei Saisonarbeitskräften kann er mit Unterkunft und Verpflegung verrechnet werden und Zeitungszusteller/innen haben erst ab 2017 Anspruch auf die volle Summe.

"Die Ausnahmen treffen ausgerechnet die Schwächsten am Arbeitsmarkt. Damit werden Millionen Beschäftigte weiterhin der Willkür von Hungerlöhnen ausgeliefert", kritisierte Bsirske bereits vor der Abstimmung. Er sieht darin einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes: "Die Politik muss begreifen, dass ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn eine verpflichtende Lohnuntergrenze ist und nicht ins Belieben von Arbeitgebern gestellt werden darf."

Der SPD warf er Wählertäuschung vor. Unter ihrer Federführung war der Entwurf im Arbeitsministerium entstanden. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi bezeichnete die Kritik der Gewerkschaften als "völlig überzogen und unsachgemäß". Die Politikerin, bis vor wenigen Monaten selbst Gewerkschaftssekretärin, mahnte die Gewerkschaften zur Zurückhaltung.

"Bundesregierung, Bundestag und Länder sind jetzt in der Verantwortung, die Einhaltung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn effizient zu überprüfen und den Missbrauch durch die vorgesehenen Ausnahmeregelungen zu verhindern", sagte Bsirske. Dazu müsse auch das Personal der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll deutlich aufgestockt werden. Er befürchtet, dass die Ausnahmeregelungen dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Sie seien eine "regelrechte Einladung, den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen".

Der Anspruch auf mindestens 8,50 Euro pro Stunde gilt ab dem 1. Januar 2015. Von 2017 an soll seine Höhe alle zwei Jahre von einer Kommission überprüft werden, in der Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertreten sind.

Heike Langenberg