Mitten im Abwehrkampf

Zeit online, 3. Juni 2014

Amazon ist ein Riese im Internethandel, für den sich ver.di gerne Zeit nimmt. Der Gewerkschaft geht es dabei in erster Linie gar nicht darum, mehr Rechte oder mehr Geld für die Beschäftigten herauszuschlagen. Im Kern steckt ver.di in einem Abwehrkampf: Über einen Tarifvertrag will die Lobbygruppe Arbeitnehmerrechte verteidigen, die Gewerkschaftler bei deutschen Konzernen durchgesetzt haben und um die sich die Amerikaner bislang wenig kümmern. Das meint ver.di-Chef Frank Bsirske, wenn er auf Kundgebungen davon spricht, "das Rad der Geschichte darf nicht zurückgedreht werden".


Verkehrte Welt

Süddeutsche Zeitung, 4. Juli 2014

Man erlebt ein bisschen verkehrte Welt an diesem Tag im Parlament. Vorne am Rednerpult spricht die sozialdemokratische Arbeitsministerin Andrea Nahles. Sie sagt, die Einführung des Mindestlohns sei "ein Grund zur Freude". [...] Die Ministerin verliert ein paar Sätze über die Debatte der vergangenen Tage, als es um die Details des Gesetzes für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ging. Da habe es Diskussionsbeiträge gegeben, sagt die Ministerin, für die man in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat nur ein Wort kenne: Kokolores. Nahles meint damit jene Kritik vor allem aus den Gewerkschaften, wonach die SPD ihr Wahlversprechen eines einheitlichen Mindestlohnes gebrochen habe, weil durch Ausnahmeregelungen bis zu drei Millionen Arbeitnehmer nicht in den Genuss des Mindestlohns kämen. Einer der Urheber dieser Vorwürfe, der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sitzt oben auf der Zuschauertribüne und lächelt - aber ganz anders als [...] die Ministerin. [...] Schon komisch also: Zwischen SPD und Gewerkschaften, die in den vergangenen Jahren gemeinsam für den Mindestlohn geworben und gekämpft haben, ist die Stimmung am Tag seiner Einführung schlechter als zwischen der SPD und ihrem Koaltionspartner, der sich so lange gegen dieses Vorhaben aufgebäumt hat. Im linken Lager war die Fähigkeit, Feste zu feiern, wie sie fallen, noch nie allzu ausgeprägt.


Immer schön maßhalten

Handelsblatt, 6. Juni 2014

Fingerspitzengefühl ist auch bei künftigen Tarifrunden gefragt: Wie lange wird sich ein Chefkoch in Mecklenburg-Vorpommern mit knapp elf Euro Tariflohn zufrieden geben, wenn schon seine Küchenhilfe 8,50 Euro in der Stunde verdient? Auch wenn sie die Mitglieder verprellen, müssen Gewerkschaften hier maßhalten - sonst droht eine Lohnspirale nach oben. Und die Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die Tarifflucht aufhört, weil sie sonst zwangsläufig den Staat auf den Plan rufen. Das wäre gelebte Tarifautonomie. Und dann bräuchte es auch kein Gesetz, das in Wahrheit seinen Namen nicht verdient.