Iris Stolz ist Referentin für Kinderrechte bei "terre des hommes" Deutschland

Die Entrüstung in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit war groß, als das bolivianische Parlament Anfang Juli ein neues Kinder- und Jugendgesetz beschloss, das die Arbeit von Kindern unter bestimmten Bedingungen erlaubt: Sie muss aus freiem Willen erfolgen, Schulbildung und Gesundheit dürfen nicht gefährdet werden, und lokale staatliche Kinderschutzstellen sollen die Auswirkungen auf das Kindeswohl im Einzelfall prüfen, Genehmigungen erteilen oder auch Schutz- und Hilfsangebote für die Kinder und ihre Familien machen. Selbstständige Arbeit ist ab zehn Jahren legal, Arbeit in Abhängigkeit von einem Arbeitgeber wird an das Mindestalter von zwölf Jahren geknüpft. Das Gesetz berücksichtigt die Interessen und Forderungen der arbeitenden Kinder, ihre Vertretung Unatsbo, die Union der arbeitenden Kinder und Jugendlichen Boliviens, hat daran mitgeschrieben.

Die neue Regelung entkriminalisiert eine Realität, die man bedauern mag, aber nicht wirksam verbieten kann. Denn viele Mädchen und Jungen in Bolivien sind, wie in etlichen anderen Ländern auch, von den Lebensumständen gezwungen, Geld zu verdienen. Und sie wollen das unter möglichst guten Bedingungen tun. Verbote machen ihre Situation oft schlimmer, weil sie in die Illegalität gedrängt werden, wo sie schutz- und rechtlos sind und nicht für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können.

Sicher: Kindheit sollte Spielen und Lernen bedeuten und frei sein von Zwängen - insbesondere vom Zwang zum Geldverdienen. Aber wer diesem Ziel näherkommen und arbeitenden Kindern helfen will, der sollte sich nicht an Verbote klammern, sondern die Ursachen bekämpfen. Kinderarbeit ist vor allem Ausdruck von Armut, die man nicht per Gesetz aus der Welt schaffen kann. Man kann aber sehr wohl etwas tun: Soziale Schutzsysteme für extrem arme Familien sind ein wichtiger Schritt. Ebenso wichtig: existenzsichernde Löhne für Erwachsene, damit sie ihre Familien ernähren können und die Kinder nicht mitarbeiten müssen. Wer die arbeitenden Kinder unterstützen will, der sollte vor allem auch ihre Meinung hören und sie achten. Das bolivianische Parlament hat das getan und verdient dafür Respekt.