Sabine Reiner leitet beim ver.di-Bundesvorstand den Bereich Wirtschaftspolitik

Artikel 72 unseres Grundgesetzes fordert die Gesetzgeber von Bund und Ländern auf, bundesweit für die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" zu sorgen. Artikel 107 verlangt, dass "die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird", wobei auch die Finanzkraft der Gemeinden zu berücksichtigen sei. Um das zu gewährleisten, gibt es einen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Denn die Einnahmen in Gestalt von Steuern fallen in wirtschaftlich besser gestellten Regionen höher aus als in wirtschaftlich schwächeren, wo umgekehrt höhere Ausgaben anfallen, vor allem für Soziales.

Doch die geltenden Regeln sind unzureichend und streitanfällig. Einigen Bundesländern und vielen Kommunen droht die Pleite, andere Länder klagen über die hohen Zahlungsverpflichtungen. Ende 2019 laufen die jetzigen Vereinbarungen aus, eine Neuregelung steht an. Bisher führen die verschiedenen Stufen des Ausgleichssystems dazu, dass überall ungefähr gleich hohe Einnahmen pro Kopf zur Verfügung stehen. Was die Länder oder Kommunen sich davon "leisten", spielt dabei keine Rolle. Ob also zum Beispiel Berlin entscheidet, keine Gebühren für Kitas zu erheben, ändert nichts an dem Betrag, den Bayern in den Finanzausgleich einzahlen muss. Strukturunterschiede spielen bisher nur teilweise eine Rolle.

Eine Neuregelung muss stärker als bisher den Bedarf berücksichtigen: vor allem höhere Ausgaben von Regionen in Ost und West mit höherer Erwerbslosigkeit oder zurückgehenden Einwohnerzahlen. In den heutigen Geberländern werden in Zeiten von selbst verordneten Schuldenbremsen die Spielräume aber ebenfalls kleiner. Wenn wir keine weiteren Kürzungen bei Daseinsvorsorge und Infrastruktur wollen, müssen höhere Gesamteinnahmen her. Und wir brauchen eine Regelung für die bisher aufgelaufenen Schulden. ver.di wird sich in den nächsten Monaten intensiver in die Diskussionen einmischen. Das Thema ist zu wichtig für alle, und es ist kein Buch mit sieben Siegeln, über das nur Eingeweihte hinter verschlossenen Türen verhandeln dürfen.