Auch Universitäten versuchen, unliebsame Mitarbeiter loszuwerden. In solchen Fällen hilft ver.di

"Keep it public!" - Uni-Dozent Mike Nagler geht an die Öffentlichkeit

"Ich blogge, also bin ich", schreibt Mike Nagler auf seiner Internetseite. Daneben ein Button: "Keep it public". (Mach es öffentlich). Nagler ist politisch aktiv, Transparenz ist ihm besonders wichtig. Da ist der 35-Jährige konsequent. Dieses Jahr im Mai wurde er ohne jeden nachvollziehbaren Grund als Dozent an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) entlassen - zwischen zwei Terminen seines Seminars zum Thema "Partei ergreifen", das er im Rahmen des "Studium Generale" hielt. Nagler reagiert und macht seine Situation öffentlich. Keep it public.

Nach der kurzen Mitteilung, der zweite Teil seines Seminars sei aus dem Programm gestrichen, fragte er in einem offenen Brief nach den Gründen für seinen Rausschmiss. Die Leipziger Medien thematisierten den Fall; seine Gewerkschaft ver.di stellte sich hinter ihn und forderte die Hochschule öffentlich auf, ihre Entscheidung "unverzüglich zu revidieren". Darauf wartet Nagler seitdem allerdings so vergebens wie auf sein ausstehendes Honorar für den ausgefallenen Seminarteil.

Der gebürtige Chemnitzer war im Herbst 2000 zum Studieren nach Leipzig gekommen, ist seither in der Südvorstadt zu Hause und passionierter Radfahrer. Er war Studentensprecher und engagiert sich gegen Stellenkürzungen und die zunehmende Ökonomisierung der Hochschulen. Spätestens seit er 2007 gemeinsam mit anderen ein erfolgreiches Bürgerbegehren gegen die Privatisierung der kommunalen Unternehmen in Leipzig initiiert hat, ist der Typ mit den Sommersprossen in der Messestadt bekannt wie ein bunter Hund: Der umtriebige Aktivist hatte eine Menge Unterschriften gesammelt, aufgeklärt, informiert, Dossiers mit Zahlen und Fakten zusammengestellt. Er engagiert sich unter anderem im Antiprivatisierungsnetzwerk APRIL, das vor allem als informelle Plattform für Bürgerinitiativen zum Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge dient; er arbeitet im bundesweiten Koordinierungskreis sowie in der Bundes-AG Finanzmarkt & Steuern von attac mit; er organisiert mit dem GlobalLE e.V. ein globalisierungskritisches Filmfest. Die ehrenamtlichen Aktivitäten und der Zeitaufwand für seine Doktorarbeit haben dazu geführt, dass Nagler seit Beendigung seines Studiums keinem festen Job nachgeht. "Mir sind diese Dinge sehr wichtig - dafür mache ich anderswo Abstriche", sagt er.

Als Bürgeraktivist hält er Vorträge, wird zu Diskussionsrunden eingeladen und war für sein selbst konzipiertes Seminar "Partei ergreifen" als Honorar- dozent an der Leipziger HTWK engagiert. "Das ist ein Wahlseminar, das im Rahmen des Studium Generale angeboten wird. Es geht um bürgerschaftliches Engagement jenseits von Parteien, um praktische Erfahrungen von Aktiven. Ich besuche mit meinen Studenten zum Beispiel kleine Vereine und Initiativen in Leipzig, die von ihrer Arbeit berichten", sagt der Bauingenieur. Das Seminar kommt gut an, man findet in Leipzig kaum einen kompetenteren Dozenten für diese Thematik. Auch in seiner interdisziplinären Promotion "Der Einfluss lokaler Eliten auf die Privatisierung kommunaler Leistungen - Vergleichende Analyse eines Spannungsfeldes, dargestellt am Beispiel deutscher Großstädte" beschäftigt sich Nagler damit.

Vertrag aus Versehen?

Sein Seminar "Partei ergreifen" hielt er 2010 und 2011 in jedem Semester in zwei Blöcken von je zwei Tagen. So war es auch in diesem Jahr geplant: Der erste Block Ende April war gelaufen. Doch kurz vor dem zweiten Teil bekam Nagler von der HTWK eine knappe Information, dass die Veranstaltung gestrichen sei. Die Studierenden waren irritiert. Warum wurde ihr Seminar mittendrin abgesagt? Gründe wurden weder gegenüber dem Dozenten noch den Seminarteilnehmer/innen genannt.

Vermutungen machten die Runde: Vielleicht empfindet die HTWK Nagler als Nestbeschmutzer, weil er als Mitglied des Hochschulrats der größten Fachhochschule Sachsens stets dessen Diskussionen und Entscheidungen öffentlich macht? Oder weil er 2009 und 2013 zu den Bundestagswahlen als parteiloser Direktkandidat für die "Linke" im Wahlkreis Leipzig II angetreten war? Als Kandidat hatte sich Nagler auf die Fahnen geschrieben, sich in der Bundespolitik für eine bessere Stellung der Gemeindefinanzen einsetzen und dazu auch hohe Vermögen wieder stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen zu wollen.

Oder sollte der Dozent nicht mehr die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich thematisieren, die seiner Sicht nach aus falschen politischen Entscheidungen resultiert? Aber das alles sind nur Mutmaßungen. Seit dem Rausschmiss des Ingenieurs herrscht bei der HTWK nach außen absolutes Schweigen.

Und intern? Am 29. Juli, fast acht Wochen nach seinem offenen Brief, bekam der Gekündigte eine Antwort von der Hochschulleitung. Im Schreiben hieß es, die "Herausnahme" des Seminars beruhe auf einem Beschluss des Rektorats vom 20. März 2012. Dass die Lehrveranstaltung im Programm von 2014 dennoch angeboten wurde, sei auf einen Fehler des Verantwortlichen für das Studium Generale zurückzuführen: Die Kanzlerin als genehmigende Instanz habe erst nach Beginn des Seminars davon Kenntnis erhalten; es handle sich also um eine von der Hochschulleitung "unbeabsichtigte Aushändigung eines Vertragsangebots". Eine Begründung für den Rausschmiss findet sich auch in diesem Schreiben nicht.

Dabei hätte die HTWK ohne Not eine - wenn auch zweifelhafte - Begründung liefern können: Im Februar 2012 hatte Nagler einen satirischen Facebook-Eintrag von Occupy Leipzig geteilt und war daraufhin von einem CDU-Bundestagsabgeordneten öffentlich beschuldigt worden, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingestellt zu sein. Obwohl Naglers Aktivitäten erkennen lassen, dass diese Behauptung jeder Grundlage entbehrt, folgte kurz danach der entscheidende Rektoratsbeschluss, dessentwegen er 2012 und 2013 nicht als Dozent engagiert worden war. Als der Ingenieur 2014 wieder beauftragt wurde, dachte er, die Beschuldigung sei nun endlich aus der Welt. Eine Fehleinschätzung.

Der unbequeme Aktivist hat bei ver.di um Rechtsschutz gebeten, um sein ausstehendes Honorar einzufordern. Kurz darauf bat die Kanzlerin der HTKW bei der zuständigen ver.di-Fachbereichsleiterin Anne Voß um ein Gespräch. Das Ergebnis ist zumindest ein kleiner Lichtblick: Wenn er nachweisen könne, dass er bereits Arbeitsleistungen zur Vorbereitung des zweiten Seminarteils erbracht habe, würde ihm sein Honorar selbstverständlich überwiesen, hat die Kanzlerin als zuständige Verwaltungschefin mittlerweile signalisiert. Ob Mike Nagler eine Zukunft als Dozent an der HTWK haben wird, bleibt ungewiss.

Nagler bleibt sich treu

Es steht einer Hochschule frei, ihre Dozenten auszuwählen. Umso unverständlicher ist es, dass die HTWK unbeirrt an ihrer Strategie des "Aussitzens" festhält. Doch die funktioniert nicht mit dem "Südvorstadt-Rebellen", wie Nagler von der Leipziger Volkszeitung genannt wurde. "Keep it public" - seinem Motto bleibt er auch in dieser schwierigen Situation treu. Jedes Schreiben, jeden neuen Fakt stellt er ins Internet. In seinem Blog (www.mike-nagler.de) schreibt er: "Bei alldem aber ist und bleibt es mein vordringlichstes Ziel, die Menschen möglichst umfassend zu informieren, sie in die Diskussions- und Entscheidungsfindungsprozesse mit einzubeziehen und auf diesem Wege zu einer Politik zu gelangen, die für die Menschen da ist - und nicht umgekehrt. Es muss also darum gehen, dass wir die Geschicke (wieder) selbst in die Hand nehmen und (mit)bestimmen."