Auf den Spuren der Inkas mit hundertprozentiger Schokolade und Klettergurt

Für Javier Montezuma besteht ein gutes Leben zu einem beträchtlichen Teil aus dunklem Gestein, das man hochkraxeln kann. Zur Freude der weiblichen Teilnehmer an der Kletterexkursion wippen die schwarzen Locken des jungen Outdoor-Experten im Rhythmus des Jeeps, mit dem er seine heutige Kundschaft nach Cojitambo hochschaukelt. Es wird getuschelt, sich diesem hübschen Sportler durchaus blind anvertrauen zu wollen, egal wie hoch der Felsen ist. Andere sind sich noch nicht schlüssig, ob sie heute wirklich noch höher hinauswollen. Cojitambo liegt schon 3025 Meter über dem Meeresspiegel. Von hier oben kann man bis runter nach Cuenca schauen, zur drittgrößten Stadt Ecuadors, die sich in ein andines Hochlandbecken schmiegt und in der Abenddämmerung bereits zu funkeln beginnt. Und von hier aus noch weiter hoch? Na, mal sehen, was die Lunge sagt in dieser dünnen Luft.

"Das passt scho!"

Am Fuße der steil aufragenden Felsformation wird Klettergeschirr entladen, unerschrocken macht Anita den Anfang. Die 24-jährige Österreicherin ist in ihrem Element, es wird gelacht und geschäkert, als Javier ihr in die Gurte hilft. Nach der Anweisung - "immer schön ins Seil zurücklehnen" - macht sie sich an die Arbeit und klettert flink wie ein Wiesel an der senkrecht aufragenden Wand hoch. Applaus bei der Landung am Boden mit geröteten Wangen. War's sehr schwer? "Nah, das passt scho", sagt sie, und die Nächste, bitte.

Die Umgebung von Cuenca ist ein Paradies für Outdoor-Sportler, und Ecuador sehr stolz darauf, in diesem November die Weltmeisterschaft im Abenteuersport ausgerichtet zu haben. 53 Mannschaften aus 20 Ländern traten auf der HUAIRASINCHI Explorer-Strecke an. 710 Kilometer auf dem Mountainbike, zu Fuß, zu Wasser. Der Äquator musste überquert, 4000 Höhenmeter überwunden werden. Dabei geht es über Stock und Stein, Wasserfälle, Schluchten, dichte Wälder, Hochebenen, Mangroven, Flüsse und Seen.

Abenteurern bietet sich auf dieser Strecke die berühmte biologische Vielfalt des Landes mit den vier Klimazonen: die brennende Sonne der Costa an der westlichen Pazifikküste, der dünne kühle Bergnebel der Sierra, die schwüle Hitze des Oriente im östlichen Amazonasgebiet und der Wind der Galapagos-Inseln. Da müssen sie durch, denn "die einzige Konstante in der Geographie Ecuadors ist die Vielfalt", staunte schon Alexander von Humboldt.

"Die Inkas würden sich totlachen"

Eine gute halbe Autostunde weiter nördlich von Cojitambo liegt Ingapirca, die bedeutendste Inka-Ausgrabungsstätte in Ecuador. Hier bauten die Inkas Ende des 15. Jahrhunderts eine Tempelstätte und den Anschluss an den Inka-Trail, der heute in Tageswanderungen erkundet werden kann. Gerade verlegt ein kleiner Trupp Bauarbeiter neue Gehwegplatten vor dem Besucherzentrum, ein kleiner Bagger qualmt lautstark vor sich hin, während weiter oben in der malerischen Hosteria Posada ein köstliches Mittagessen bei spektakulärer Aussicht ins Grüne vorbereitet wird.

Im Zentrum der weitläufigen Anlage steht der ellipsenförmige Tempel, hier sieht man die Arbeiten an der Anlage. "Wir sind froh, dass hier alles langsam renoviert wird", sagt Tourguide Eddy, der den Besuchern die Anlage erklärt. "Aber wenn die Inkas das sehen könnten, würden sie sich totlachen." Er freut sich und zeigt den Gästen, warum. Die Steinquader der Inkas, denen das Rad noch nicht zur Verfügung stand, liegen auf ebenmäßigen Fugen aufeinander wie mit dem Lineal gezogen. So präzise war die Arbeit der Steinmetze, dass keine Fugenmasse benötigt wurde. Dagegen zieht es bei den renovierten Abschnitten durch größere Ritzen; die alten Meister sind auch mit modernem Werkzeug nicht zu übertreffen.

Eddy gerät ins Schwärmen über die Hochkultur der Inkas; er zeigt das Schlafzimmer von Atahualpa, dem letzten Inkakönig. Als der die Bibel, die ihm die Spanier mitgebracht hatten, nutzlos in die Ecke warf, war sein Schicksal und das der Inkas besiegelt. Doch die Spanier profitierten von der Kompetenz der letzten Inkas. Ihr Kommunikationssystem etwa war vorbildlich. Ausgestattet mit Seilen, deren Knötchen geheime Infos über den Zensus und damit auch Lebensmittelbedarf des weit verstreuten Volkes enthielten, rannten sich die kleinen, aber ausdauernden Männer damals auf dem Inka-Trail buchstäblich die Hacken ab. Wie das möglich war? Eddy zeigt auf einen Busch, an dem gelb und orange leuchtende Trompeten hängen: die Brugmansia, ein Nachtschattengewächs, aus dem heute die berüchtigten KO-Tropfen gewonnen werden. Gründlich gekaut aber sorgten die Blätter früher für Inkas im Dauerlauf. Die Spanier rollten die Blätter sogar zusammen und wendeten sie als Zäpfchen für ihre importierten Pferde an.

Ohne die Blätter der Brugmansia

Eine dreiviertel Autostunde später im pittoresken Cuenca sorgt dann das große Sportstadium Juan Perez für Interesse und launige Spekulationen. Der beliebte Olympionik holte für sein Land die bislang einzige Medaille - ausgerechnet in der Disziplin Schnellgehen. Natürlich ohne die schlimmen Blätter der Brugmansia. Eddy schmunzelt und gönnt seiner Gruppe den Spaß.

Die drittgrößte Stadt des Landes mit Kolonialbauten der Spanier, die die französischen Jesuiten später mit Ornamenten, Farben und filigranen Balkons verzierten, gehört mit seinen vielen kleinen Geschäften seit 1999 zum kulturellen Erbe der Unesco. 2500 Jahre Geschichte tragen die niedrigen Gründerzeitbauten auf ihren Säulen. Überall wird gehämmert, renoviert und gestrichen; während Fußgänger und Autos eine Art fröhlichen Paso Doble hinlegen, damit alle unbeschadet durch den Verkehr kommen. Der bunte Markt im Zentrum hängt voller Alpaka-Ponchos, Schuhputzer sind in vollem Einsatz, ein fliegender Händler mit allerlei Kokablätter-Produkten, als Kosmetika getarnt, huscht von einer Ecke zur anderen.

Längst nicht alle haben ein gutes Leben in Ecuador. Wo der Schuh drückt, zeigen die Leute wie überall auf der Welt auch an Cuencas Häuserwänden mit Graffitis. Der Kampf gegen Krebs in den von Chevron ölverseuchten Gebieten, der Kampf für gutes Essen und gegen McDonalds, Glaubenskrisen, Haschisch-Legalisierung, die Revolution und immer wieder die Initiative gegen die geplanten Ölbohrungen im "Paradies" des artenreichen Yasuni-Nationalparks im Nordosten des Landes.

Wenn sich die Sonne zwischen imposante Wolkenformationen schiebt, schimmern über Cuenca die blauen Kuppeln der Neuen Kathedrale, der größten Kirche Lateinamerikas. Davor zupft ein alter Mann zum Halbplayback eine Harfe. Ganz in der Nähe sitzt Ulloa Jiminez seit 40 Jahren auf ihrem Stühlchen am Blumenmarkt und verkauft die geliebten Rosen, einige davon sogar für eine Kooperative fair trade mit Zertifikat. Wer beim Einkauf darauf achtet, kann sich ohne Reue an den prächtigen Langstielern erfreuen. Die Rosen der benachbarten Hazienda Uztuphu haben es sogar bis zur Inauguration des Papstes geschafft.

Purer Schokoladengenuss

Nur ein paar Straßen weiter wird ein anderes schwarzes Gold als Erdöl gewonnen. In der Schokoladenfabrik Industrial Fatima, die Catalina Peralta einst von ihrem Vater übernahm, grüßt ein mit gelber Tischdecke geschmückter Tisch, darauf eine altmodische Keramikkanne. Der Duft purer Schokolade, die aus der Presse in die Behälter läuft, hüllt die Besucher ein. Überall fliegen feinste Partikel der frisch entschalten Kakaobohnen durch die Luft, das Atmen fällt schwer, es ist laut, vor allem für die, die dort arbeiten. Am Ende der Produktion kommen große Pralinen aus reiner, hundertprozentiger Schokolade heraus. Ein ideales Mitbringsel, denn geraspelt verwandeln die Späne eine heiße Milch in das Getränk der Götter: sahnige dunkelkräftige Schokolade. Zunächst nur lokal verkauft, exportiert Catalina Peralta mithilfe ihrer weitverzweigten Verwandtschaft inzwischen ihr Produkt auch ins Ausland.

Tief durchatmen - dafür ist der Mirador de Turi, der Aussichtspunkt mit der weißen Kirche auf dem Hügel, wie geschaffen. Mit dem Taxi sind es von von der Avenida Solano nur ein paar Minuten, innerhalb Cuencas kostet keine Fahrt mehr als 3 bis 4 US-Dollar. Von hier kann man die 52 Kirchen der Stadt zählen; rotbraune Ziegeldächer bedecken die bunten Häuser Cuencas vor der grandiosen Kulisse der Anden, die majestätisch im Hintergrund ruhen.

Geht man nach Cuenca, kommt man besser nicht ohne einen schicken Panama-Hut zurück, denn er stammt eigentlich von hier. Die 48-jährige Ximena arbeitet seit 24 Jahren für Homero Ortega, der einst seine Hüte noch persönlich an die Küste brachte, von wo aus sie auf den Köpfen in alle Welt kamen. Ximena eilt hin und her, sie presst die Hüte in die gewünschte Form, bis sie tadellos sitzen wie bei Johnny Depp, der nur einer von vielen Hollywoodgrößen ist, die einen tragen. "So sitzt er richtig", Ximena strahlt, ja, das hier ist ein guter Arbeitsplatz für sie. Sie ist sozialversichert, Überstunden werden bezahlt. Denn auch ein guter Arbeitsplatz gehört für sie unbedingt dazu, zu einem guten Leben.


Service

Reisetipps online: http://wikitravel.org/de/Ecuador

Flug: u.a. Latam Airlines, www.lan.com

Schokolade: Industrial Fatima. Calle Del Batán 4-56 e, Cuenca

Panamahüte: www.homeroortega.com/contactenos.php

Restaurant: Hacienda Las Chorreras, im Nationalpark El Cajas, Cuenca

Markt: Mercado 10 de Agoste, bunter Lebensmittelmarkt in der Calle Larga

Unterkünfte: Hotel Oro Verde, Cuenca; es werden Bustouren angeboten nach Ingapirca, mit Guide und Mittagessen in der Hosteria Posada. Hacienda Uzhuput, Canton Paute