Den Nachtzug nach Genua gibt es schon lange nicht mehr. Die Italiensehnsucht der Deutschen muss irgendwann auf der Strecke geblieben sein. Vor 30 Jahren fuhr noch ein Nachtzug nach Genua. Von Frankfurt am Main aus, ohne Umsteigen. Es war damals meine erste Fahrt mit einem Nachtzug, es war kurz vor Weihnachten. Die Nacht in Deutschland war kalt, nass und schmuddelig, der Liegewagen, in den ich mit meinem Freund stieg, war bullig warm und gemütlich. Uns erwartete eine Fahrt durch die Nacht in einem vollbelegten Zug. Ich hatte gehofft, schlafen zu können. Aber daraus wurde nichts.

Wir lernten die anderen vier Menschen aus unserem Abteil kennen, dann noch die aus den Nachbarabteilen, es wurde gequatscht, getrunken, viel geraucht - letzteres war damals auf den Zuggängen noch erlaubt - und nicht geschlafen. Ich erinnere mich noch, den Bahnhof von Mailand wahrgenommen zu haben, und dunkel auch an die Po-Ebene. Mit dem Sonnenaufgang erreichten wir schließlich die Hafenstadt Genua, gerädert zwar, aber erfüllt von vielen Geschichten, die uns in dieser Nacht erzählt wurden.

Ruckeln, gleiten, bremsen

Die Nacht ist zum Reden da, jedenfalls wenn man im Zug unterwegs ist. Das habe ich seither immer wieder erfahren. Ich fahre gern über Nacht mit dem Zug. Das Ruckeln und Gleiten über die Schienen lassen den Geist zur Ruhe kommen, selbst wenn man sich unterhält. Döst man doch mal weg, wecken die nachts irgendwie immer quietschenden Bremsen bei Einfahrt in einen Bahnhof, spätestens aber die Ansagen vom Bahnsteig oder die tuschelnden, zusteigenden Fahrgäste wieder auf. Es ist auch völlig egal, ob man in der Holzklasse, also im Liegewagen reist oder im Schlafwagen mit richtigem Bett. Ich habe letzteres einmal ausprobiert, auf dem Weg nach Zürich, weil ich morgens ausgeschlafen sein wollte. Doch auch im Schlafwagen wird viel geredet, man ist dabei nur besser gebettet, bezahlt aber auch deutlich mehr dafür.

Dass die Deutsche Bahn mit dem Fahrplanwechsel im Dezember jetzt weitere Nachtstrecken einstellt und langfristig ganz aus dem Nachtverkehr aussteigen will, ist eine ziemlich traurige Angelegenheit. Vor allem weil die Bahn behauptet, aus Beleg- und Kostengründen aussteigen zu müssen. Das scheint mir glatt gelogen. Als ich vor zwei Jahren mit Kind über Nacht nach Paris fahren wollte, war der Nachtzug schon Wochen zuvor für mehrere Tage komplett ausgebucht. Und genau diese Strecke wird nun gestrichen. Auch die Verbindungen nach Kopenhagen, die von Amsterdam über Köln nach Warschau sowie einige innerdeutsche Nachtstrecken werden eingestellt. Tatsächlich aber sind die Nachtzüge durchaus rentabel. Allein von 2003 bis 2013 ist die Zahl der Passagiere um 60.000 auf 1,5 Millionen jährlich gestiegen. Im vergangenen Jahr haben die Nachtzüge einen Umsatz von 120 Millionen Euro erwirtschaftet - bei Kosten in Höhe von 110 Millionen. Es ist also sogar Geld mit dem Nachtverkehr zu verdienen.

"Manche mögen's heiß"

Seit ich zum ersten Mal mit einem Nachtzug in Thailand gefahren bin, habe ich mir immer gewünscht, die Deutsche Bahn würde Nachtzüge wie dort auch hierzulande einführen. Ab der 2. Klasse reist man nachts in Thailand nämlich wie in dem Film Manche mögen's heiß. Man hat einen bequemen breiten Sitz und nur eine Person gegenüber. Zur Schlafenszeit wird dann aus den Sitzen unten ein breites Bett und ein genauso breites oben von der Decke ausgeklappt, Bettzeug wird verteilt, Vorhänge aufgehängt. Dahinter kann man dann für sich bleiben oder - wenn man niemanden zum Reden gefunden hat - sich von der Kakophonie der Wörter und Gute-Nacht-Küsse hinter den anderen Vorhängen in eine Art Halbschlaf wiegen lassen. Oder auch stundenlang lesen.

Agatha Christies Mord im Orient-Express ist eines der Bücher, das sich für eine lange Nachtzugfahrt besonders gut eignet. Es bedient die unbewussten Ängste vor Verbrechen im Zug aufs Feinste. Gern wird nämlich betont, dass zwar nicht die Morde, aber Diebstähle auf Zugfahrten zunehmen. Allein 2013 sollen es laut Deutscher Bahn knapp 12.000 gewesen sein. Da ist es von entscheidendem Vorteil, Agatha Christie oder auch etwas anderes zu lesen. Denn wer liest, schläft nicht und kann deshalb auch nicht so leicht ums Gepäck gebracht werden. Und dies ist wiederum wichtig, weil keine Versicherung für entwendete Dinge wie Uhren, Schmuck oder Smartphones aufkommt, wenn man im Nachtzug so tief geschlafen hat, dass man den Diebstahl nicht bemerkt hat.

Sollte es doch einmal passieren, dann hoffentlich auf einer Nachttour im Zug durch Vietnam. Dort haben wir jedenfalls einen gestohlenen Rucksack samt Inhalt wiederbekommen. Die zugbegleitende Polizei kannte offenbar ihre Pappenheimer und sammelte das Diebesgut am Ende der Reise durch die Nacht wieder ein.

Eine Art Abenteuer

Vielleicht ist es genau das Unvorhersehbare, dass das Reisen mit einem Nachtzug noch zu einer Art Abenteuer macht. Man muss wachsam sein und doch Ruhe finden. Und vor allem: Zeit mitbringen. Mit dem Nachtzug jagt man nicht wie im InterCityExpress mit Hochgeschwindigkeit über die Trassen. Ganz im Gegenteil: Fast wie zu Kaisers Zeiten reist man heute noch entschleunigt, ist zwischen zwölf und 17 Stunden unterwegs bis zum Zielbahnhof. Viel Zeit für unvergessliche Momente und Erlebnisse.

Und wie heißt es doch so schön? "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen." Wer nachts reist, noch viel mehr.


Zahlen und Fakten

1852 fuhr der erste Schlafwagen durchs damalige Preußen. 162 Jahre später wird das Ende der Nachtzüge mit umfangreichen Streckenstreichungen eingeläutet. Davon werden aktuell 100 Beschäftigte betroffen sein. Die Linkspartei geht davon aus, dass am Ende bis zu 1000 Stellen bei der Deutschen Bahn wegfallen werden. Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert, dass die Bahn es versäumt habe, die Nachtzüge noch attraktiver zu machen. Die vielfachen Verspätungen wären in den Griff zu bekommen gewesen, der Service hätte deutlich verbessert werden können. Stattdessen wurden die Bordrestaurants auf den Nachtstrecken einfach geschlossen. Die Bahn sagt, sie stehe im Konkurrenzkampf mit dem Luft- und Busverkehr. Die Zahlen sagen folgendes: 2013 hat die Deutsche Bahn zehn Millionen Euro Gewinn mit dem Nachtzugverkehr erwirtschaftet. Insgesamt transportiert sie an zwei Tagen so viel Menschen wie die Lufthansa in einem Jahr. Jährlich kommt die Bahn auf 130 Millionen Reisende, im Fernbusverkehr sind es gerade einmal 8,2 Millionen Passagiere. pewe

Wer reist, rostet nicht!

Sie sind häufig unterwegs, auf Reisen, unsere Mitglieder in den Aufsichtsräten der Unternehmen in unseren Landen. Und weil die allerallermeisten von ihnen ihre Bezüge für diese Reisen für Ausbildung und Bildung abführen, räumen wir ihnen einmal im Jahr viel Platz ein, um sie alle namentlich zu nennen, wie in desem Reisespezial auf den Seiten R2 + R3. Ansonsten reisen wir noch einmal mit dem Zug durch die Nacht, bevor die Deutsche Bahn ihren Nachtverkehr gänzlich einstellt. Und wir sind nach Ecuador und Norwegen aufgebrochen. Auf den Spuren der Inkas, sozusagen echter Outdoorspezialisten, bis zum Traum des Anglers. Reisen Sie mit!

Petra Welzel