Unbedingt Leben

Lore Krüger: Ein Koffer voller Bilder - Die Roma von Les Saintes Maries de la Mer kommen bis heute jedes Jahr wieder, Lore Krüger war nur einmal dort in Südfrankreich, an der Mündung der Rhône. Sie hatte als junge Fotografin den Auftrag bekommen, das jährliche Treffen der Roma im Mai zu Ehren der Schwarzen Sara, ihrer Schutzheiligen, für ein amerikanisches Magazin zu fotografieren. Aus Europa, Ägypten und anderen Ländern waren sie mit ihren Wohnwagen auch 1936 angereist, in dem Frühjahr, als Lore Krüger von Paris über Genf mit dem Zug dorthin kam, eine Leica in der Tasche. Die Bilder von dort sind mit die besten unter jenen, die jetzt, 79 Jahre später, im Amerika Haus in Berlin zu sehen sind.

Die Deutsch-Jüdin Lore Krüger, die 2009 in Berlin verstarb, hatte diese Bilder jahrzehntelang mit vielen anderen Fotografien in einem Koffer verstaut. Es sind Fotografien, die nicht unbedingt ihre Flucht vor den Nationalsozialisten in die USA, aber doch die Stationen ihres Fluchtwegs dokumentieren. Einfühlsame Porträts und Straßenszenen neben abstrakten Stillleben aus ihrer Lehre bei der Bauhaus-Absolventin Florence Henri in Paris. Am stärksten ist Lore Krüger, wenn sie sich mit der Kamera in die Menschen und Szenen einfühlt, die sie ablichtet. Ihre Abstraktionen bleiben kühl dagegen. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Bilder aus Frankreich, Mallorca, Barcelona und New York erst wirklich den Eindruck davon vermitteln, wie sie in fünf Jahren innerhalb Europas hin- und herreiste, immer auf der Hut vor den Nazis, um schließlich 1940 mit ihrer Schwester New York zu erreichen. Und mit ihrem Mann Ernst, einem Kommunisten und Gewerkschafter, den sie auf der Flucht kennengelernt hatte.

Lore Krüger wollte nie aus Frankreich weg. Sie liebte die Sprache und das Leben in Paris. Vielleicht hat sie deshalb schon in Amerika, vor der Rückkehr nach Deutschland die Fotografie aufgegeben und sich dem Wort, der Sprache zugewandt. Erst für eine deutsch-amerikanische Emigranten-Zeitschrift, später, nach dem Krieg, als Übersetzerin beim Berliner Aufbau-Verlag. Ihren Bilderschatz hielt sie verborgen. Mit ihm konnte sie nicht erzählen und erklären, warum sie das Konzentrationslager Gurs in den Pyrenäen nach ein paar Monaten hatte verlassen können, ihren Eltern die Flucht von Mallorca aus aber nicht mehr gelang und sie deshalb den Freitod wählten. 70 Jahre nach der Befreiung von Ausschwitz sind ihre Bilder ein berührendes Zeugnis vom Überleben und unbedingtem Lebenswillen. Petra Welzel

GALERIE C/O BERLIN, AMERIKA HAUS, HARDENBERGSTR. 22-24, TGL. 11-20 UHR, BIS 10. APRIL, KATALOG 29,95 €


Cannes Outdoor Lions - Eigentlich sollte man ja für Werbung keine Werbung machen. Aber in diesem Fall tun wir es doch einmal, weil es nämlich die Werbekampagnen, die derzeit das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg ausstellt, so gebündelt nur in Cannes zu den Filmfestspielen zu sehen gibt. Und wer kommt schon nach Cannes, jedenfalls zu den Festspielen? Vor allem gibt es hier Plakate zu betrachten, die weniger mit Werbung, sondern viel mehr mit Kunst zu tun haben. Die Kunst der Verpackung sozusagen: Ich habe ein Produkt, das ich verkaufen will, verpacke es aber so, dass ich mein Produkt eigentlich gar nicht zeigen muss. So kann etwa Babybel einfach eine überdimensionierte, mit rotem Wachs überzogene Milchkanne zeigen, die sich am Bauch wie das runde Käsestück öffnen und dahinter den weißlichen Käse durchblicken lässt. Das ist geradezu genial. Und so betrachtet, wird Werbung zum Augenschmaus, den Käse braucht man da gar nicht. Mehr kann man von Werbung wirklich nicht verlangen. Petra Welzel

MUSEUM FÜR KUNST UND GEWERBE HAMBURG, STEINTORPLATZ, DI-SO 10-18 UHR, DO 10-21 UHR, BIS 3. MAI 2015


Herlinde Koelbl - Selten kommen so viele Werke der Fotografin Herlinde Koel-bl zusammen wie in dieser Ausstellung in der Ludwigsgalerie in Oberhausen. Sie zeigen, wie Koelbl mit ihrer Kamera seziert, was man auf den ersten Blick zu sehen glaubt. Es sind eben nicht nur Menschen, die sie entweder ganz schlicht en face ablichtet wie in der wohl bekanntesten Serie "Spuren der Macht". Politiker/innen und Wirtschaftsbosse hat sie über fast zwei Jahrzehnte begleitet und jedes Jahr einmal porträtiert. Es verwundert nicht, dass sich die politische Elite, unter ihnen Angela Merkel, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, von Jahr zu Jahr oft völlig veränderte. Die Bilder zeugen davon, wie sie sich ständig in ihrer Haltung drehen und wenden. Und kein bisschen treu bleiben. Aber auch Koelbls Blicke ins deutsche Wohnzimmer oder auf Haarprachten unterschiedlichster Personen zeigen nicht minder, was oft hinter Menschen und Dingen steckt, die eindeutig scheinen. Ihre Bilder sind ein Parforceritt durch 35 Jahre Schein und Sein im Menschen. Petra Welzel

LUDWIGSGALERIE SCHLOSS OBERHAUSEN, KONRAD-ADENAUER-ALLEE 46, DI-SO 11-18 UHR, BIS 3. MAI 2015