Ausgabe 01/2015
Ausverkauf eines Landes
Es ist Wahljahr in Portugal und die liberal-konservative Regierung von Pedro Passos Coelho hat gute Nachrichten. 2014 sank das Haushaltsdefizit des Landes stärker als erwartet. Bereits im Mai hat Portugal das Hilfsprogramm von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) offiziell verlassen. Kapitalmärkte und Rating-Agenturen sind freundlicher, ein Teil der Notkredite in Höhe von 78 Milliarden Euro zur Abwendung eines Bankrotts soll vorzeitig zurückgezahlt werden. Stark angehobene Einkommens- und Verbrauchssteuern haben dem Fiskus Rekord-Einnahmen beschert. Zudem profitiert das Land vom Preisverfall bei Öl und Gas auf den Weltmärkten. Die Krise, die Portugal seit 2010 im Griff hat und dem Land einen Regierungswechsel und einen harten Sparkurs brachte, scheint gemildert zu sein.
Erkauft wurde die Sanierung der Bilanzen mit der drastischen Senkung des Lebensniveaus der Bevölkerung und radikalen Kürzungen im öffentlichen Dienst. Im Abkommen mit der sogenannten Troika, also der Europäischen Zentralbank, EU-Kommission und dem Internationalem Währungsfonds, verpflichtete sich Portugal zu Einsparungen, Umstrukturierungen und zur Privatisierung von Staatsbetrieben. Aus Sicht der größten Gewerkschaftszentrale CGTP Intersindical handelt es sich um ein "Programm der Aggression".
Kette von Korruptionsaffären
Für die meisten Portugiesen ist die Krise jedoch längst nicht vorbei. Im Oktober 2014 standen offiziell 13,4 Prozent ohne Job da, in der Altersgruppe bis 25 Jahre sind mehr als 40 Prozent betroffen. Reguläre Arbeitsplätze sind kaum zu haben. Viele müssen ihr Leben vom Mindestlohn in Höhe von 515 Euro fristen. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, die Rechte der Beschäftigten wurden beschnitten, Arbeitszeiten verlängert, das Renteneintrittsalter erhöht. Budgetkürzungen an Krankenhäusern haben die Wartezeiten für Operationen verlängert und überfordern die Notaufnahmen. Hunderttausende sind aus wirtschaftlichen Gründen in andere europäische Länder, nach Brasilien oder in die Ex-Kolonien Angola und Mosambik emigriert. Der Sparkurs wurde mit den größten spontanen Massenprotesten in Portugals jüngerer Geschichte und mehreren Generalstreiks beantwortet.
Während die meisten Menschen sich einschränken müssen, bedient sich die Elite aus Politik und Wirtschaft weiter großzügig. Ans Licht kam eine Kette von Korruptionsaffären, die die regierende Mitte-Rechts-Koalition erschütterten. Der Skandal um die frisierten Bilanzen der Bank Espírito Santo ließ tausende geprellte Kleinanleger zurück. Hohe Beamte verdienten sich eine goldene Nase mit "goldenen Visa", die die freie Bewegung im europäischen Schengen-Raum ermöglichen: Wer zahlt, muss nicht in einer Nussschale über das Mittelmeer schippern. Wie andere EU-Staaten ermöglicht es seit 2012 auch Portugal, gegen Zahlung von einer Million Euro, bei Erwerb einer Immobilie im Wert von mindestens 500.000 Euro oder im Gegenzug für die Schaffung von Arbeitsplätzen die Eintrittskarte zu lösen. Dieses Verfahren brachte Portugal mehr als eine Milliarde ein. Vor allem reiche Chinesen und Angolaner griffen bei Immobilien zu.
Hohe Beamte von der Ausländerpolizei und aus dem Justizministerium, die mit abkassierten, flogen auf und landen nun vor Gericht. Der Innenminister musste seinen Hut nehmen. Ein Höhepunkt war die Verhaftung des früheren portugiesischen Regierungschefs José Sócrates im November 2014. Der Sozialist hat Portugal von 2005 bis 2011 regiert. Angelastet werden ihm Korruption, Steuerbetrug und Geldwäsche. Er wartet im Untersuchungsgefängnis auf seinen Prozess. Eine schwere Hypothek für die größte Oppositionspartei vor den Wahlen im Herbst.
Und der Ausverkauf Portugals geht weiter: Auf der Liste stehen das Geldinstitut Novo Banco, Portugal Telecom und die Fluggesellschaft TAP. Die TAP-Beschäftigten wehren sich gegen die Privatisierungspläne. Unter dem Motto "Wir lassen uns unsere Rechte nicht rauben" protestierten Ende Januar auf Aufruf der CGTP in Lissabon Tausende aus dem öffentlichen Dienst gegen die geplante Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. Die guten Nachrichten der Regierenden sind für viele Portugiesen schlechte. Peter Steiniger