Besiegeln den Tarifvertrag per Handschlag: ver.di-Landesleiter Detlef Ahting (li.) und Christoph Künkel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege, mit Delegationen

Niedersachsen ist bundesweit Vorreiter mit dem ersten landesweit geltenden Tarifvertrag für Auszubildende in der Altenpflege. Nach langen Verhandlungen haben sich ver.di und die niedersächsischen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege im Februar auf faire Ausbildungsvergütungen, verlässliche Arbeitszeiten und einen einheitlichen Erholungsurlaub geeinigt - zunächst für knapp die Hälfte der landesweit 7000 Eleven. Ab 1. August erhalten sie im ersten Jahr 975 Euro und im zweiten 1037 Euro. Im dritten Ausbildungsjahr beträgt die Vergütung bereits ab 1. Mai 1138 Euro. Außerdem gilt von nun an in Niedersachsen ein einheitlicher Erholungsurlaub von 29 Tagen.

Flächendeckende Geltung beantragt

"Mit diesem Vertragswerk schreiben wir ein gutes Stück Tarifgeschichte", begrüßt ver.di-Landesleiter Detlef Ahting die Einigung. "Wir kommen damit einem dringend benötigten Tarifvertrag für alle Pflegekräfte einen großen Schritt näher, denn gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen gehören zusammen", so Ahting weiter. Nun will die Gewerkschaft - wie auch bekräftigt von Arbeitgeberseite - vom Land Niedersachsen mit einer "Allgemeinverbindlichkeitserklärung" die flächendeckende Anwendung des neuen Tarifvertrags bis hin zu den privaten Pflegediensten erreichen. "Ein kleiner Schritt für die Tarifparteien, ein großer Schritt für die Branche", so Achim Lüddecke, ver.di-Fachbereichsleiter Gesundheit.

Angesichts des absehbaren Mangels an qualifiziertem Nachwuchs und damit künftigen Fachkräften ist dieser zweite Schritt längst überfällig. Denn die Rahmendaten einer alternden Gesellschaft sind deutliche Signale. Danach leben in Niedersachsen bereits heute 275.000 Pflegebedürftige, bis 2050 werden es fast doppelt so viele sein. Gleichzeitig fehlen bereits heute landesweit 3000 Pflegefachkräfte, bis 2050 wird eine Versorgungslücke von rund 50.000 Menschen prognostiziert. Trotz dieser demografischen Herausforderung sind Lohndumping und ein schädlicher Wettbewerb um Nachwuchs keine Seltenheit in der Branche.

Schulgeldfreiheit abgesichert

Erst in diesem Jahr ist in Niedersachsen die Schulgeldfreiheit in der Altenpflegeausbildung gesetzlich abgesichert worden. An der solidarischen Umlagefinanzierung der Ausbildungsvergütungen arbeite die rot-grüne Landesregierung mit Hochdruck, heißt es. "Die Situation in der Pflege ist in Niedersachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders dramatisch", bestätigt Christoph Künkel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege. Die Branche müsse von der Ausbildung bis zum Arbeitsalltag attraktiver werden.

Personalmangel, Überlastung, anstrengende und familienunfreundliche Arbeitszeiten, hohe körperliche Belastungen und bürokratische Hemmnisse belasten jedoch den Arbeitsalltag von Pflegekräften. Für die Mehrzahl der Beschäftigten gibt es keinen Tarifvertrag. Mit ver.di haben sich Tausende zusammengeschlossen und fordern einen "Tarifvertrag Altenpflege" mit einheitlichen Standards. Der neue Vertrag zur Regelung der Ausbildungsbedingungen ist daher nur ein erster Meilenstein auf dem Weg zu einem landesweiten und flächendeckenden Tarifvertrag "Soziales", der dann alle sozialen Dienstleistungen einschließen soll. "Will man dem Schreckensszenario eines allgemeinen Pflegenotstandes begegnen, kommt der Ausbildung von Pflegekräften eine besondere Bedeutung zu", sagt ver.di-Verhandlungsführer David Matrai.