Ausgabe 02/2015
Leserbriefe
Als ich den Artikel zur Forderung einer Grundvergütung von 3000 Euro für examinierte Kräfte gelesen habe, ist mir noch etwas anderes eingefallen, was mich bei diesem Thema bedrückt. Ja, dieser Beruf ist nicht nur ein Knochenjob, sondern auch eine psychische Belastung für jeden Altenpfleger. Auch in meinem Umkreis ist dieser Beruf vertreten und ich kann die berufliche Belastung jeden Tag ein bisschen stärker in den Gesichtszügen erkennen. Doch warum ist das so? Wie kann es in einem Beruf für Menschen, in einem sozialen Beruf, der Fall sein, dass der Kapitalismus auch dort schon angekommen ist? Wie kann Geld wichtiger als der Mensch sein, der alles aufgeben musste, um nun seinen letzten Cent in seine Pflege und Medikamente zu stecken? Auch die pflegebedürftigen Menschen sehen es den Pflegern doch an und merken, dass sie eine Belastung sind. Auf seinem letzten Weg sollte der Mensch keine Belastung sein und sich auch nicht so fühlen. Doch Hektik und Zeitmangel, Bürokratie und Stress sind der Alltag des Pflegepersonals. Es wird so unglaublich viel Kraft in Dokumentationen gesteckt, die eigentlich für die Fürsorge investiert werden könnte, für den Menschen, worum es in der Pflege eigentlich geht. Doch ist auch das Wirtschaften in diesem Bereich angekommen, was mich nicht nur sehr traurig, sondern mir auch vor meiner Zukunft Angst macht, wenn ich irgendwann mal vielleicht alt und dement in einem Altenheim lebe.
Marcel Priem, per E-Mail
Nach über einem Jahrzehnt Erfahrung mit der Unterbringung unserer Eltern in Pflegeheimen - wegen einer Bandscheiben-OP wurde dies notwendig - musste ich die Erfahrung machen, dass der Fisch vom Kopf her stinkt. Im ersten Heim war der Leiter ein gelernter Werkzeugmacher, der es vortrefflich verstand, Selbstzahler nach Strich und Faden auszunehmen. Nach dem Tod des Vaters verlegten wir die Mutter in ein Heim in unserer Nähe. Hier war ein Pastor Heimleiter. Um die Pflege der Insassen kümmerte sich keiner von beiden. Die Heime waren Melkmaschinen, und aus dem viel zu wenigen Personal wurde das Letzte herausgeholt. Eine über dem Personal stehende Aufsichtsperson existierte in keinem der Heime. Jeder wurschtelte so vor sich hin auf Kosten der Insassen. Völlig unklar ist mir, wozu es Personalschlüssel gibt und wer dafür zuständig ist.
Ilse Reil, Heilbronn
Thema "Chance für Europa", ver.di publik 1_2015
Schade, dass das Thema Syriza in der letzten ver.de publik auf Seite 10 versenkt wurde. Denn es ist ein für ganz Europa bedeutsames Thema, und dass die (meisten) DGB-Gewerkschaften einen Aufruf zur Unterstützung von Syriza gestartet haben, hätte mehr Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit verdient. Ein bisschen unverständlich zudem, dass das Thema an drei unterschiedlichen Orten im Blatt spielt: "Chance für Europa" auf Seite 10, "Ausverkauf" in Portugal Seite 8 und auf Seite 7 etwas zu Blockupy. Das hätte doch alles zusammen gehört? Und außerdem scheint mir Blockupy keine Sache "aus dem Bezirk" Hessen zu sein - sicher, dort soll die Blockade stattfinden. Aber die Berichte zu den Verhandlungen zwischen der EU und Griechenland in Brüssel stehen ja auch nicht auf den Brüsseler Lokalseiten der Tageszeitungen.
Stephan Kaufmann, Berlin
Spezial "Gesundheit", ver.di publik 1_2015
Da habe ich mich über den Schwerpunkt "Gesundheit" gefreut, doch zurück bleibt leider Frustration. Susanne Teige schreibt in beiden Ernährungsbeiträgen ("Sind Diäten sinnvoll?" und "Mahlzeit") die üblichen ollen Kamellen über Kohlenhydrate (DGE hin oder her, deren Konzept scheint sich immer noch an vorwiegend körperlich Arbeitenden zu orientieren), obwohl das Interview mit Irina Baumbach fundiert in eine andere Richtung weist. Frau Teige erwähnt zwar z.B. auch die wichtigen Omega-3, aber bleibt dann dermaßen im Ungenauen, wenn sie "hochwertige" Öle empfiehlt. Nicht allzu viele Öle enthalten Omega-3, ganz im Gegenteil enthalten viele reichlich Omega-6, den Gegenspieler, von dem wir viel zu viel zu uns nehmen. Was sollen Leser/innen mit solchen Informationen? Und wie kann man nur das erwähnte Interview so unverbunden neben den anderen Beiträgen stehen lassen? Von Journalismus erwarte ich neben guter Faktenrecherche eine gute Einordnung derselben.
Franz Schilling, Berlin
Upps "Nach oben heiraten ist nicht mehr", verdi publik 1_2015
Ich habe den Artikel in SPON auch gelesen. Allerdings war darin mit keiner Silbe von einer Forderung "zurück zur alten Ordnung", d.h. Frauen raus aus den Universitäten, die Rede. Nicht jede positive Entwicklung hat nur positive Folgen. Wollte man die Möglichkeit wieder herstellen, dass durch Heirat Einkommensunterschiede abgemildert werden, so müsste man von Frauen verlangen, auch geringer-verdienende Männer zu heiraten, und von Männern, auch Ehefrauen mit höherem Einkommen zu tolerieren. Allerdings wären diese Forderungen utopisch. Radikaler und besser wäre es, wenn z.B. die Krankenschwester (gibt es auch einen Krankenbruder?) bestimmte Vorlesungen mit den Medizinstudenten belegen müsste, wenn die Einkommensunterschiede zwischen den einzelnen Berufen stärker nivelliert und dafür die Studiengänge kostendeckend finanziert würden. Das ist auch utopisch, wäre aber einer Gewerkschaftsforderung angemessen und würde für eine menschlichere Gesellschaft sorgen.
Peter J. Hakenjos, Pfinztal
Kommentar "Von Kreativität keine Spur mehr", ver.di publik 2_2015
Wenn man in der Presse liest, dass das Unternehmen mit den Jahren über 24 Tsd. (!) befristete Arbeitsplätze geschaffen hat und nun (man staune!) 49 neue Töchter aus dem Boden stampft (genauso viele wie es offizielle Niederlassungen gibt), dann hat das System: Wir bunkern erst mal ganz viele Angestellte in Form von Befristeten und verlagern sie in die Töchter bzw. bieten ihnen dann einen Festvertrag zu neuen, schlechteren Konditionen an. Aber nach außen wird es nicht so dargestellt. 967 Mio. Euro an die Aktionäre (ZDF Zoom: "Immer Ärger mit der Post" / 11.02. 2015), 49 neu gegründete Töchter, die Bezirke werden mit jeder Bemessung größer und das Personal wird immer weniger. Immer mehr Sub- und Subsub-Unternehmen, da kann die Qualität nur fallen, aber laut Post ist alles toll, die Mitarbeiter zufrieden. Wenn die DHL glaubt, ihr Ruf strahle wie die Sonne, sowohl bei Mitarbeitern als auch Kunden, dann irrt sie sich gewaltig. Ich für meinen Teil möchte noch morgens in den Spiegel schauen können, doch das kann man nur, wenn man der Realität ins Auge blickt. Als Mitarbeiter nehme ich diese anders wahr.
U. Huth, Köln
Kommentar "Unwort des Jahrzehnts", ver.di publik 1_2015
Mit Ihrem Kommentar haben Sie unzähligen Langzeitarbeitslosen aus dem Herzen gesprochen. Denn treffender kann man dieses Problem inklusive der von Ihnen beschriebenen weitreichenden Konsequenzen nicht beschreiben. Und ich gebe gerne noch eines drauf, was den Umgang mit ALG II-Bezieher/innen betrifft: Böse Zungen könnten behaupten, es mute beinahe schon wie ein symbolischer Abstieg an, wenn Arbeitslose vom Haupteingang des hiesigen Rathauses hinab ins Untergeschoss steigen müssen, wo sich das örtliche Jobcenter befindet. (Möglicherweise standen auch einfach keine anderen Räume zur Verfügung.) Empfangen werden sie dort in einem Großraumbüro von überwiegend allzeit missgelaunten jungen Damen, die pauschal alles in Frage stellen und negieren, was der "Kunde" ihnen erzählt. Nur eine einzelne Dame hebt sich in ihrer Freundlichkeit geradezu wohltuend von ihren Kolleginnen ab. Datenschutz scheint beim Jobcenter kein Thema zu sein. Oft mit mehreren "Kunden" zur gleichen Zeit im selben Raum, erfährt jeder des anderen persönliche Daten sowie dessen Lebensumstände. Selbst wer sich Mühe gibt, dem ist ein Weghören nicht möglich. Des weiteren ist in unserer Gesellschaft allein das Wort "Hartz IV" schon eine Beschimpfung des Menschen, der diese Leistung bezieht. Nicht einmal in den allgemeinen Medien wird die korrekte Bezeichnung Arbeitslosengeld II oder, wem das zu lang ist, wenigstens ALG II genannt. Dies und vieles andere verstärkt und bestätigt den Verdacht einer allgemeinen Hetzkampagne gegen Langzeitarbeitslose.
Ina Blinn, per E-Mail
Kulturbeutel, ver.di publik 1_2015
Eckhard Geitz' Rezension des Romans Unterwerfung von Michel Houellebecq, in der deutschen Übersetzung von Norma Cassau und Bernd Wilczek, übersieht, dass es sich hier um eine Satire handelt. Was Herr Geitz als "Altmännerphantasien" abtut, bestimmt leider immer noch den Lauf der Welt - meistens halten eben alte Männer die Zügel in der Hand. Es gibt viel zu lachen in dem Roman. (Ich habe die französische Fassung gelesen.) Was der Rezensent ferner unbeachtet lässt, ist die Gegenüberstellung der zwei Konfessionen (die in Frankreich die meisten Anhänger haben), nämlich der katholischen und der islamischen. In dieser Konfrontation erreicht das Satirische übrigens einen Höhepunkt.
Herr Geitz bedenkt ferner nicht, dass der Roman als Satire in einer französischen Tradition steht, und dass mit dem Werk des Autors Joris-Karl Huymsans eine literarische ebenso wie politisch-moralische Gegenposition aufgebaut wird. Houellebecq's Ich-Erzähler hatte die Wahl: Er entscheidet sich opportunistisch, wie die meisten Kollegen.
Der Autor Houellebecq sieht seinen persönlichen Standpunkt im Katholischen - ich las das in einem Interview. Wie hübsch, dass Herr Geitz Frauen mit Igelfrisur nicht mag - die Frauen seiner Umgebung werden sich seinem Geschmack gern anpassen, nehme ich an. Im Roman kommen Frauen mit eigener geistiger, politischer Initiative praktisch nicht vor - insofern könnte man ihn als frauenfeindlich auffassen. Ich verstehe ihn als Aufforderung, dass Frauen selbst handeln und sich auch selbst darstellen müssen. Houellebecq's Roman ist nicht der Ort, wo sie Vorbilder dafür finden, vielmehr regt er an, Gegenfiguren zu schaffen. Gegen eine opportunistische, faule, überhebliche Männerwelt. Satire, wohlgemerkt.
Barbara Höhfeld, VS-Mitglied, Frankfurt/M.
Zum Leserbrief von Gerhard Findeisen in ver.di publik 1_2015
Die TTIP-Geheimverhandlungen haben etwas mit den kapitalistischen Verwertungsbedingungen zu tun. Dagegen helfen starke kämpferische Gewerkschaften und sonstige Organisationen von Lohnabhängigen und Erwerbslosen. Warum es in diesem Kontext aber "kein Wunder" sein soll, dass die AfD stark wird, ist mir wiederum ein Rätsel. Die AfD übertrifft in ihrem Wirtschaftsliberalismus noch die Westerwelle-FDP, wird unter anderem von dem langjährigen Kapitallobbyisten und Gewerkschaftsfeind Henkel angeführt und vertritt rassistische Ansätze. Gerade ein 98-jähriger Gewerkschaftskollege müsste sich doch noch an die kämpferischen Traditionen der Arbeiterbewegung erinnern können, die in dem Leserbrief gar nicht vorkommen.
Peter Nowak, per E-Mail
Wir freuen uns über jeden Leserbrief. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Leserbriefe geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. ver.di publik Leserbriefe, 10112 Berlin, Fax 030 / 6956-3012, E-Mail: leserbriefe@verdi.de