Leonie Treber: Mythos Trümmerfrauen - Arrangiert waren die Fotos in Zeitschriften und Zeitungen in West-‚ und Ost-Deutschland, die in unserem Gedächtnis geblieben sind: die Frauen geschminkt und die Arbeitskleidung aufgehübscht, wenn sie tapfer in den Schuttbergen ihrer Arbeit der Enttrümmerung nachgingen. Das weist Leonie Treber in ihrem lesenswerten Buch nach. Als die Historikerin sich ihrer Studie über die Trümmerfrauen zu widmen begann, war ihre Absicht keineswegs, einen Mythos zu zerstören, aber ihre Ergebnisse ließen ihr keine Wahl. Der Anteil der Frauen an der Enttrümmerung der kriegszerstörten deutschen Städte war zahlenmäßig gering, Bau- firmen übernahmen die Hauptarbeit. Ihr Bild aber war wirkmächtig und Teil einer Strategie der Entstigmatisierung dieser Arbeit, die zu Kriegszeiten von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen verrichtet werden musste. Außerdem wurde so das Bild einer Frau des Aufbruchs und Aufbaus inszeniert, das völlig ausblendete, dass Frauen auch Täterinnen und Mitläuferinnen im Nationalsozialismus gewesen waren. Bettina Klix

KLARTEXT-VERLAG, ESSEN, 2014, 483 SEITEN, 29,95 €


Liad Shoham: Stadt der Verlorenen - Für Flüchtlinge und illegale Einwanderer riskiert Michal Poleg ihr Leben. Die junge Israelin arbeitet für eine Hilfsorganisation und betreut vor allem Afrikaner. Eines Tages wird sie tot in ihrer Wohnung in Tel Aviv aufgefunden - erschlagen. Mit diesem Szenario beginnt Liad Shoham seinen Thriller, der sich zu einem umfassend recherchierten, kritischen Gesellschaftsporträt entwickelt. Er blickt hinter die Kulissen von Staat, Justiz, NGOs, Polizei und Politik. Shoham, selbst Anwalt, interessiert sich für die komplexen Zusammenhänge hinter Verbrechen - diesmal beleuchtet er den Umgang mit Einwanderern und deren Leben im Schatten der Gesellschaft. Nach dem Mord an der Frau fällt der Verdacht auf einen Eritreer. Er gesteht die Tat, doch die Polizistin Anat Nachmias glaubt nicht an seine Schuld und ermittelt auf eigene Faust. Tatsächlich wurde der Afrikaner von Schleppern zu seinem Geständnis gezwungen. Und ein Staatsanwalt gerät unter Verdacht, der wahre Täter zu sein. Ein fesselnder gesellschaftspolitischer Roman von aktueller Brisanz. Günter Keil

LIAD SHOHAM, STADT DER VERLORENEN, DUMONT, AUS DEM HEBRÄISCHEN VON ULRIKE HARNISCH, 412 SEITEN, 9,99 €


Albertine Sarrazine: Der Astragal - Wird man einer sprachfertigen Vorlage in der bildlichen Umsetzung gerecht? Wie kann man etwas darüber Hinausreichendes schaffen, um nicht eine weitere einfallslose Literaturadaption zu produzieren? In der 1968er Verfilmung des autobiografischen Romans Astragalus von Albertine Sarrazine findet man zumindest in der Eingangssequenz zu einigen Bildern von Prägnanz, die der vornehmlich von Jugendstrafanstalten, Prostitution und Kriminalität geprägten Welt eine visuell aussagekräftige Komponente hinzufügen. Bevor dieses Jahr eine Neuverfilmung des unter anderem von Patti Smith geschätzten und mit einem Essay bedachten Stoffes in die Kinos kommt, erscheint mit der Comicadaption eine weitere Variation bildlicher Weiterentwicklung. Und diese weiß, trotz dem Format geschuldeter inhaltlicher Kürzungen, durch den Einsatz von eindrucksvoll gegeneinander ausgespielten Schwarzweiß-Flächen und Reduktion auf das Wesentliche zu überzeugen. Die heutige Relevanz der Thematik - ein algerisches Adoptivkind wächst nach dem Krieg mit Algerien in Frankreich auf - bedarf da auch keiner weiteren Erklärung. Oliver Ristau

ZEICHNUNGEN: TERKEL RISBJERG; SZENARIO: ANNE-CAROLINE PANDOLFO NACH ALBERTINE SARRAZINE, VERLAG SCHREIBER & LESER, ÜBERS.: KAREN BO, 220 SEITEN, 22,80 €