Hunderttausende Menschen arbeiten im Sozial- und Erziehungsdienst, leisten tagtäglich unschätzbar wertvolle Arbeit. Nur: Angemessen bezahlt werden sie dafür bisher nicht. Jetzt wollen sie für mehr Geld unbefristet streiken

Einer trage die Last des anderen - Erzieherin mit autistischem Kind

Es gibt Friseurinnen, die es versucht haben, sich nach dem Wert ihrer Arbeit bezahlen zu lassen. Sie haben ihre Kundinnen und Kunden entscheiden lassen, wie viel sie für ihren Schnitt, die neue Frisur zahlen wollten. Und auch Restaurants versuchen immer wieder nach diesem Prinzip die Rechnung zu machen, also zahlen zu lassen, was einem das servierte Essen wert war. Nur: Die Rechnung geht nicht auf. Wenn man es den anderen überlässt, festzulegen, was sie zu zahlen bereit sind, dann regiert selbst bei denen, die richtig viel Geld haben, Schmalhans das Portemonnaie.

Deshalb stellt ver.di immer wieder die Frage nach dem Wert der Arbeit, nach angemessener Bezahlung, gerechteren Einkommen. Was ist uns die Arbeit derjenigen wert, die sie für uns leisten? Diese Frage stellt sich nicht nur, wenn es um unseren Schopf oder Magen geht. Sondern vor allem dann, wenn es um die Betreuung unserer Kinder und anderer betreuungs- oder pflegebedürftiger Angehöriger geht. ver.di hat deshalb schon zu Beginn dieses Jahres eine Kampagne gestartet, um die sogenannten Sozial- und Erziehungsberufe aufzuwerten. Fünfmal hat ver.di seither mit dem Verband Kommunaler Arbeitgeber (VKA) verhandelt - ohne Ergebnis. Bis über den Redaktionsschluss dieser ver.di publik-Ausgabe hinaus stimmen die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten jetzt über einen unbefristeten Streik ab.

Manchen stehen sie ein Leben lang zur Seite

Viele von uns vertrauen ihre Kinder tagtäglich bis zu acht Stunden anderen Menschen an, nicht nur in dem Glauben, sondern mit dem Wissen, dass sie bei ihren Erzieher/innen gut aufgehoben sind. Dass nicht nur auf sie aufgepasst wird, sondern unsere Kinder in ihrer Entwicklung und mit ihren Bedürfnissen helfend und unterstützend begleitet werden. Gerade auch, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - physisch und psychisch nicht mit anderen Kindern mithalten können und besondere Unterstützung benötigen.

Genauso halten es viele von uns mit ihren Eltern, wenn sie eines Tages zum Pflegefall werden. Wir suchen ein passendes Heim oder wählen eine häusliche Pflege, die unsere Angehörigen in Würde und wie sie es wünschen weiterleben lassen. Und wir sind auch für jede erdenkliche Hilfe dankbar, wenn es zuhause nur so kracht mit den pubertierenden Jugendlichen, weil sie auf einmal klauen, Drogen nehmen oder nicht mehr essen wollen, und wir allein die Probleme nicht mehr auflösen können.

Es sind die Menschen in den Sozial- und Erziehungsdiensten, die uns manchmal ein Leben lang zur Seite stehen, weil man selbst durch eine schwere Behinderung auf ihre Hilfe angewiesen ist. Sie sind Erzieher/innen, Heilpädagogen, Sozialarbeiter/innen, Jugendhelfer/innen, Pflegekräfte, Heilerziehungspfleger/innen und einige mehr. Es ist bezeichnend, dass es seit den 90er Jahren keine verlässlichen Zahlen mehr für Deutschland gibt, wie viele Menschen es sind, die in diesen Berufen arbeiten. Es sind Hunderttausende. Allein rund 25.000 Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung sind bundesweit in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen tätig und unterstützen diese in einem eigenständigen Leben.

Bescheidene Einkommen

Verlässlich hingegen sind die Zahlen über die Einkommen der Kräfte in den Sozial- und Erziehungsdiensten. Und die sind bescheiden. Die Einstiegsgehälter liegen bei knapp über 1800 Euro brutto und enden bei knapp 3100 brutto im Bereich der Kinderbetreuung. Da sehr viele Erzieherinnen - meist ungewollt - in Teilzeit arbeiten, ist ihr tatsächliches Einkommen deutlich geringer. So haben im vergangenen Jahr von den rund 355.000 Erzieher/innen in Deutschland nur 40,6 Prozent Vollzeit gearbeitet. Was ist uns die Arbeit der Erzieher/innen unserer Kinder also wert? Oder die der Pflegekräfte unserer Eltern oder derjenigen Pflegekraft, die uns selbst mitversorgt, weil wir uns nicht gänzlich allein versorgen können? Oder die Arbeit der Jugendhelferin, die unser Kind vor dem totalen Absturz bewahrt?

Eine aktuelle, repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hat ergeben, dass 88 Prozent der Eltern eine bessere Qualität der Kita-Betreuung für wichtig oder sehr wichtig halten. Die Realität sieht heute so aus: Zwar gibt es inzwischen für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz, aber die Kindergruppen sind eher größer geworden, nur die Anzahl der Erzieherinnen nicht. Und werden neue eingestellt, sind sie überwiegend nicht ausgebildet. Wir haben es also lediglich mit einer Quantitätssteigerung und nicht mit einer Qualitätssteigerung im Bereich der Erziehungsdienste zu tun. Was mehr Qualität kosten würde, wurde auch berechnet: mindestens vier bis fünf Milliarden Euro, die Länder und Kommunen nach dem vorgeschriebenen Ausbau von Kindertagestätten nicht mehr aufbringen können. Vielleicht bedarf es aber nur einer anderen Art der Finanzierung all der Sozial- und Erziehungsdienste. Sie alle leisten unschätzbare Arbeit für die gesamte Gesellschaft, und diese Qualität muss ihren Preis haben.

Es bleibt also bei der Frage: Was ist uns die Arbeit derjenigen wert, die sie für uns und unsere Mitmenschen leisten?

Weitere Infos, auch für Eltern und andere Betroffene im Falle eines Streiks:

www.verdi.de/themen/geld-tarif/soziale-berufe-aufwerten


Mit diesem QR-Code geht's direkt zur ver.di TV-Umfrage: Sollten Menschen in sozialen Berufen besser bezahlt werden?


Zum Mitschreiben

Manfred Hoffmann, Verhandlungsführer Kommunale Arbeitgeberverbände

"Die Anerkennung ist der Erzieherin sicher. Wir haben überhaupt keine Zweifel, dass in den Kitas, aber auch im Sozial- und Erziehungsdienst in Deutschland insgesamt ganz hervorragende Arbeit gleistet wird. Und das kann man in der Tat gar nicht hoch genug einschätzen."

ARD-Morgenmagazin, 9. April 2015


Frank Bsirske, ver.di-Vorsitzender

"Die Anforderungen an die Beschäftigten sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Sie leisten die Arbeit pädagogischer Fachkräfte und müssen auch entsprechend bezahlt werden."

"Der Chemielaborant verdient nicht zu viel, die Arbeit der Erzieherin muss aufgewertet werden."

Zum Verhandlungsauftakt in Hannover, 25. Februar 2015


Annika A., 36, Sozialarbeiterin

"Wir sind nicht die Sozialarbeiter mit der Kaffeetasse in der Hand. Wir betreuen Kinder aus belasteten Familien."

Zum Verhandlungsauftakt in Hannover, 25. Februar 2015


Dagmar Schorsch-Brandt, stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin Baden-Württemberg

"Die Arbeitgeber spielen auf Zeit. Sie riskieren mit dieser Taktik einen längeren Streik und instrumentalisieren damit Eltern, Kinder, Klienten und Schutzbedürftige für ihr Ziel: Die überfällige Aufwertung dieses Berufsfeldes auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben."

Am Warnstreiktag in Baden-Württemberg, 20. April 2015


Manuela Schwesig (SPD), Bundesfamilienminsterin

"Wir müssen langfristig die Löhne der Erzieherinnen und Erzieher auf das Niveau von Grundschullehrern anheben."

Zeit online, 12. April 2014


Bildungsexperte Wassilios Fthenakis, Präsident des Didacta Verbands der Bildungswirtschaft und ehemaliger Leiter des Münchner Staatsinstituts für Frühpädagogik

"Die Gehälter entsprechen nicht der übernommenen Verantwortung und den Anforderungen an das Berufsbild."

Auf der Bildungs-Fachmesse didacta, 25. Februar 2015