Nicht ohne Tarif

Handelsblatt, 13. Juni 2022

Das Instrument der Kurzarbeit hat aber einen dämpfenden Einfluss, eine Massenflucht wie in den USA blieb aus. Und doch gibt es hierzulande Anzeichen für einen "Big Quit". Sie lassen sich an den Eingängen von Restaurants finden, wo Tafeln auf verkürzte Öffnungszeiten wegen Personalmangels hinweisen, oder in den ausgedünnten Flugplänen von Lufthansa, Easyjet und Co., die wegen fehlender Kabinenbesatzungen oder Vorfeldmitarbeiter reihenweise Verbindungen streichen. Oder in Pflegeheimen, die keine neuen Bewohner mehr aufnehmen, weil niemand da ist, der sich um sie kümmern kann. Der "Big Quit" zeigt sich bei einfachen Tätigkeiten im Servicesektor, wo oft mäßige Bezahlung, unattraktive Arbeitszeiten und eine hohe körperliche oder psychische Belastung zusammenkommen. [...] Es führt also kein Weg daran vorbei, auch einfachere Tätigkeiten aufzuwerten, etwa durch Tarifverträge, die neben einer fairen Entlohnung auch vernünftige Arbeitsbedingungen regeln.

Spalter

Düsseldorf Express, 11. Juni 2022

Pünktlich zur Demo machten die Unikliniken in NRW den Streikenden einen ersten Vorschlag zur Lösung des Tarifkonflikts: "Danach würden ausnahmslos alle Kolleginnen und Kollegen, die in der Pflege am Patienten arbeiten, Entlastungstage bekommen [...]" Verdi-Bundesvorsitzender Frank Werneke war davon wenig begeistert: Dass es überhaupt ein Angebot für Entlastung gebe, sei zwar ein Erfolg, aber "was nicht geht, ist der Versuch, uns zu spalten". Denn das Angebot der Kliniken versuche, die Beschäftigten in der Pflege am Bett gegen die Angestellten in anderen Bereichen wie Küche, Transport, Notaufnahme oder Herzkatheterlabor auszuspielen.

Nicht alltäglich

Flensburger Tageblatt, 10. Juni 2022

[...] dieser Ausstand ist wahrlich nicht alltäglich – es ist der erste flächendeckende Streik im Hamburger Hafen seit 42 Jahren. Rund vier Stunden in der Spätschicht kommt die Arbeit an den Kais bis zum Abend zum Erliegen. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven und Emden. [...] Der Ton im Hafen ist stets rau, das Vokabular bei der Kundgebung entsprechend deftig. Gastmeier weist die Aussagen der Arbeitgeber als "kackenfrech" zurück, Verdi-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth spricht von "Bullshit" – und meint damit die Kritik, der Warnstreik verschärfe den historischen Containerstau in deutschen Häfen noch zusätzlich.

Einiges herausgeholt

Süddeutsche Zeitung, 20. Mai 2022

Diese Gewinner der Tarifeinigung für die Erzieherinnen stehen schon fest: die geplagten Eltern, denen weitere Streiks erspart bleiben. Nach zwei Jahren Dauerausfällen durch die Pandemie sind sie froh, wenn ihre Kinder in Kitas und Schulhorten betreut werden, statt die ganze Zeit zu Hause zu sein. Viele Eltern haben trotzdem akzeptiert, dass Erzieher und Sozialarbeiterinnen in den vergangenen Wochen ihr Streikrecht wahrnahmen. Denn sie wissen, wie aufopfernd sich viele der Beschäftigten täglich um den Nachwuchs anderer kümmern. Es ist ein herausfordernder Job, physisch und psychisch. [...] Erkennt das Tarifergebnis diesen Einsatz ausreichend an? Misst man die Einigung daran, dass Arbeitgeber selten von sich aus mehr zahlen, haben die Gewerkschaften einiges herausgeholt [...] Trotzdem kann man bei steigenden Preisen sowie Gehältern von durchschnittlich weniger als 4.000 Euro vor allen Abzügen das Gefühl bekommen, dass Erzieherinnen und Erzieher besser entlohnt werden könnten.