Hassan Blasim: Der Verrückte vom Freiheitsplatz - Halbwüchsige, die stehlen und vergewaltigen. Militärpolizisten und Staatssicherheitsleute, die ihre Mitbürger schikanieren. Verzweifelte Flüchtlinge ohne Hoffnung auf eine anständige Unterkunft. Der 42-jährige irakische Autor Hassan Blasim erzählt in seinen neuen Kurzgeschichten von Menschen in einer erbarmungslosen Welt und von einem Land, das sich seit 35 Jahren im Krieg befindet. Seine Heimat Irak ist geprägt von einer langen, bitteren Vergangenheit aus Gewalt und Unterdrückung. Blasim beobachtet Gemüsehändler, Taschendiebe und Zigarettenverkäufer. Er schildert makabere Morde in heruntergekommenen Vierteln und Religionskriege. Sein Stil ist trocken, schonungslos und dokumentarisch. Blasim, der 2004 nach Finnland emigrierte, dreht seine Kurzgeschichten gelegentlich auch ins Surreale und überzeugt mit subtilem Charme. Er ist ein bitterböser, hellwacher Chronist des irakischen Chaos. Nachhaltige Hoffnung hat er nicht, denn "der brüchige Friede, der zurzeit herrscht, ist nichts als ein schlafender Vulkan". Günter Keil

KUNSTMANN VERLAG, 256 SEITEN, ÜBERSETZT VON HARTMUT FÄHNDRICH, 19.95 €


Dominique Manotti: Abpfiff - Glauben wir wirklich, im Milliardengeschäft "globaler Fußball" gehe es außerhalb der FIFA seriös zu? Glauben wir wirklich, nur im Radsport werde gedopt und Turbo-Offensive im Fußball funktioniere mit Traubenzucker? Nach Dominique Manottis rasantem Krimi wären wir naiv, das weiterhin zu glauben. Im glänzend recherchierten Plot der preisgekrönten Königin des französischen Polizeikrimis muss ihr scharfsinniger Pariser Drogenfahnder Daquin tief in einen Sumpf aus korrupter Kommunalpolitik, brutalem Fußballgeschäft und lukrativem Drogenhandel steigen, um den Mord an einem Kollegen aufzuklären. Die Romane der Historikerin und Ex-Journalistin sind mit ihrem glasklaren, unsentimentalen und temporeichen Stil ein Spiegelbild unserer gewalthaltigen Wirklichkeit; kurze, harte Sätze treiben die Spannung voran, kein Wort ist zuviel. Nahezu schmerzhafte Unmittelbarkeit gelingt ihr durch konsequentes Präsens. Manotti seziert kühl die Machenschaften spätkapitalistischen Raubrittertums, ihr Commissaire ermittelt illusionslos, aber nicht depressiv, genießt die französische Küche, seinen Liebhaber und weiß, dass die Glieder der Krake nachwachsen, wenn man ihr einige abtrennt. Wer Manottis Meisterwerk schon auf dem Weg in die Ferien atemlos verschlingt, kann sich mit bislang fünf weiteren Übersetzungen ihrer Krimis trösten. Ulla Lessmann

ARIADNE KRIMINALROMAN IM ARGUMENT VERLAG, 230 S., ÜBERSETZT VON ANDREA STEPHANI, 17 €


Blachut/Klages/Kuhn (Hg.): Reflexionen des beschädigten Lebens? - "Angesichts der großen Lücken, die sowohl in den Häuserreihen als auch in den Familien klafften, war es kaum möglich, das Vergangene vollständig zu verdrängen", schreibt Sarah Kordecki in ihrem Beitrag für diesen Sammelband über das deutsche Nachkriegskino. Ihre kluge Untersuchung von weniger bekannten Heimatfilmen der 1950er Jahre unter dem Titel Heile Welt ohne Vergangenheit? bringt überraschende Ergebnisse. In einem Genre, das als Verdrängungsfilm gilt, spürt sie das Unheimliche auf. Sie zeigt, wie das Schweigen und Verschweigen durchbrochen wird, indem das Thema einer alten Schuld der Vätergeneration immer wieder neu behandelt wird. Auf indirekte, anspielungsreiche Weise werden so die Themen Kriegsschuld, Vertreibung und Massenvernichtung behandelt, die die Zuschauer mit ihren Erfahrungen ergänzten. Dagegen blieben Filme, die die Frage der Schuld direkt behandelten,wie Morituri (1947/48) von Eugen York, der erste deutsche Spielfilm zum Thema Holocaust, erfolglos. Bettina Klix

NACHKRIEGSKINO IN DEUTSCHLAND ZWISCHEN 1945 UND1962, EDITION TEXT + KRITIK, MÜNCHEN, 2015, 357 S., ZAHLREICHE ABBILDUNGEN, 39 €