Ausgabe 05/2015
Robust und beharrlich in Tarifrunden
Tarifkommissionsmitglied Sailer
Die viel beschworene "neue Arbeitswelt" ohne Tarifvertrag ist für Dolores Sailer nicht vorstellbar. Schließlich kämpft sie seit gut 20 Jahren mit viel Einsatz für "ihren" Tarifvertrag. Sie ist Mitglied der Tarifkommission für Buchhandel und Verlage in Bayern. Sie hat nicht gezählt, wie oft sie in all den Jahren den Arbeitgebern am Verhandlungstisch gegenüber gesessen hat. "Das sind ja keine vergnügungssteuerpflichtigen Veranstaltungen", sagt sie. Dass es sich lohnt, zeigt die Statistik: Beschäftigte mit Tarifvertrag verdienen im Durchschnitt 19 Prozent mehr als in tariflosen Betrieben.
Die Tarifkommissionen sind ehrenamtlich besetzt, also mit Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben. Soweit hauptamtliche ver.di-Vertreter/innen beigestellt werden, sind diese nicht stimmberechtigt. Die Mitglieder werden aus den Betrieben vorgeschlagen und von den Fachgruppenvorständen gewählt bzw. bestätigt.
Dolores war Mitte 20 und gerade in den Betriebsrat nachgerückt, als ihre Kolleginnen und Kollegen bei Weltbild in Augsburg meinten, sie solle auch gleich in die Tarifkommission nachrücken. "Ich fand die Aufgabe interessant und ließ das auf mich zukommen." Die erste Verhandlung, an der sie teilnahm, war zwar ernüchternd: "Ich war baff über den Umgangsstil, den einige Vertreter der Arbeitgeberseite da pflegten." Abschrecken ließ sie sich aber nicht.
Ein gewisses Maß an Robustheit und Beharrungsvermögen ist hilfreich. Denn in der Regel wird von Arbeitgebern bei jeder Tarifverhandlung der Untergang des Betriebes, der Branche oder gleich des "Standortes Deutschland" beschworen. "Wir wollten das manchmal verkürzen", sagt Dolores, "aber die Arbeitgeber brauchen die Klagerunde einfach".
Wie aber findet die Tarifkommission zu ihrer Forderung? "Wir prüfen und bewerten die Entwicklung in den tarifgebundenen Betrieben, der Branche, beim Preisindex und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung." Daneben können auch andere Faktoren eine wichtige Rolle spielen. In den Tarifverhandlungen zu den Sozial- und Erziehungsdiensten etwa geht es nicht um eine "normale" Tarifanpassung an die Branchen- und Preisentwicklung, sondern um ein deutliches Zeichen für die Wertigkeit sozialer Arbeit.
Von wegen Modernisierung
Weniger im Fokus stehen die Manteltarifverträge. Das liegt an ihren deutlich längeren Laufzeiten. Dabei regeln sie wesentliche Arbeitsbedingungen wie etwa die Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsfristen sowie Ansprüche auf Zuschläge, Jahresleistung, besonderen Kündigungsschutz und mehr.
Der Sturmlauf der Arbeitgeber auf "veraltete" Manteltarifverträge ist quer durch die Tarifbereiche ungebrochen. Was als "Modernisierung" verkauft wird, bedeutet schlicht: Mehr arbeiten für weniger Geld und freiwillige Leistungen statt klarer Ansprüche. "Nicht mit uns", sagt dazu Dolores. Mit Zähigkeit und betrieblichem Druck habe man es bisher geschafft, derartiges abzuwehren.
Womit wir bei einem entscheidenden Punkt sind. Mit guten Worten und Ausdauer allein sind Tarifverträge heute nicht zu erhalten, geschweige denn durchzusetzen. "Ohne Druck geht nichts", sagt Dolores. Was heißt: "Rein in die Gewerkschaft, der Tarifkommission den Rücken stärken und beherzt für den Tarifvertrag kämpfen."
Bernd Mann