Ausgabe 06/2015
Buch
Unter Pleitegeiern
Georg Schattney: Argentinisches Roulette
Wolfgang Willarth wacht eines Tages in Buenos Aires auf, in der Wohnung eines Mannes, der nicht mehr lebt. Aber unter anderem eine beachtliche Plattensammlung bessessen hat. Vielleicht ist es die Musik, vor allem die der Doors, die den bruchgelandeten Hedgefonds-Mangager Willarth eines Besseren belehren. Dass zwar Geld die Welt regiert, aber man dennoch nicht alle Spiele dieses Geldes und seiner Besitzer mitmachen muss.
Es ist die Zeit unmittelbar nach dem 11. September 2001, nach den Terroranschlägen auf die Twin Towers in New York. Willarth und drei seiner Ex-Kollegen, ein Mann und zwei Frauen, geraten mitten in den Strudel um die drohende Staatspleite Argentiniens. Noch einmal, glauben sie, das große Geld machen zu können. Dieses Mal wollen sie ganz auf Nummer sicher gehen, docken beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank an und finden heraus, dass rund um die Anschläge herum eine Gruppe von Leuten in krimineller Absicht ihre persönlichen Ziele auf dem globalen Finanzmarkt verfolgt. Mit tödlichem Ausgang - einen trifft die Kugel. So geht das argentinische Roulette nunmal.
Wer in den letzten Monaten den Poker um Griechenland verfolgt hat, glaubt sich in Georg Schattneys Roman nicht selten an die Ägäis dieser Tage versetzt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Hauptakteure der Argentinien-Pleite - Politik, Währungsfonds, Weltbank und Großbanken - auch in Griechenland wieder zugegen sind. Es ist, als hörte man die Pleitegeier schon wieder über einem maroden Land kreisen, in Hoffnung auf Beute.
Willarth und sein kleines internationales Team reisen um den halben Erdball, um herauszufinden, wer Dreck am Stecken hat, wer beim IWF für gleich mehrere falsche Weichenstellungen seinen Hut nehmen darf, wer bei der Weltbank haltlos geworden ist. Doch erst die Verwicklung in die argentinischen Proteste, das Vordringen bis in die Spitze dieser Protestbewegung, lässt vor allem zunächst Willarth die Seite wechseln. Bis zum überraschenden Ende. Was das alles zudem mit Jim Morrisons Grab in Paris, seinen Texten, der Musik, der Vergangenheit Willarths und der Liebe zu tun hat, soll hier aber nicht verraten werden.
Der Autor selbst ist einmal Teil der beschriebenen Finanzwelt und -märkte gewesen. Das merkt man nicht nur den Fakten an. Und auch wenn Schattney nicht das Ende des sogenannten Finanzmarkt-Kapitalismus beschreibt, so zumindest doch seine moralischen Verwerfungen. In literarischer Form ist das richtig spannende Lektüre. Am Ende wünscht man sich, sein nächster Roman hieße "Griechischer Poker". Petra Welzel
Georg Schattney, Argentinisches Roulette, Elektrischer Verlag, 280 Seiten, 22,90 €, E-Book 12,99 €
Annette Wieners: Kaninchenherz
Familie kann ein Abgrund aus Hass, Rache, Neid und Lügen sein - und bildet damit ein reichhaltiges Setting für einen psychologischen Kriminalroman. Die Kölner Journalistin Annette Wieners taucht in ihrem Erstling tief in grausige familiäre Geheimnisse ein: Die Friedhofsgärtnerin Gesine verlor ihr Söhnchen durch Giftpflanzen und beschuldigte ihre Schwester der Tat. Die wiederum wird zehn Jahre später auf Gesines Friedhof beerdigt, hinterlässt einen undurchschaubaren Mann, zwei neugierige Kinder und jede Menge gefährliche Fragen: Wer ist für ihren Tod verantwortlich? Womöglich Ex-Kommissarin Gesine, die nicht nur ihr Kind, sondern auch Mann und Job verlor, in einem Wohnwagen lebt und vorsichtige Freundschaftsbande zu einem Bestatter knüpft? Das jedenfalls glauben ihre extrem bösartigen Eltern und die übereifrigen Ex-Kollegen. Wieners Geschichte mit ihren geschickt eingestreuten Rückblenden, ist traurig, dramatisch und ungemein spannend bis zur auch für routinierte Krimileser/innen verblüffenden Auflösung. Sie ist, ja doch, zu Herzen gehend. Erst nach und nach kommt man der traumatisierten Protagonistin und deren sprödem Charakter nahe, aber dann will man ihr nicht mehr von der Seite weichen. Der Verlag verspricht eine Serie. Auf die darf man sich freuen, wenn Wieners das erzählerische Niveau mit der differenzierten Personenzeichnung hält. Ulla Lessmann
List Verlag, 347 S., 9,99 €
Bov Bjerg: Auerhaus
Der Protagonist und Ich-Erzähler, der sich selber stets nur als Herr Höppner vorstellt, schlägt sich in den 80ern mit den typischen Problemen eines Jugendlichen herum: sprunghafte Freundin, geschiedene Eltern samt fiesem Stiefvater, und das auch noch in der aufreibenden Phase zwischen Abi, Musterung und Zukunftsplanung. Als sein bester Freund Frieder seinem Leben ein Ende bereiten will, beschließen Herr Höppner und seine Kumpels aus der Oberstufe, das Leben des Freundes unbedingt zu retten. Weg von den Eltern solle der seelisch Erkrankte, raten die Psychologen, aber unter Leute. Also zieht der Freundeskreis, ein Haufen rebellischer Typen, in das heruntergekommene Bauernhaus des Opas. Hier beginnt für die ganz unterschiedlichen Charaktere ein einmaliges und aufreibendes Jahr. Eine begrenzte Zeit zwischen dem Kindsein und dem großen Ungewissen, dem richtigen Erwachsenenleben, die sie dennoch so leben, als würde sie niemals enden. So kommt natürlich auch einiger Unfug zustande, sie errichten ein Trainingscamp fürs Klauen, halten sich nur mit billigem griechischen Wein warm und fällen den Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz. In junger, bildhafter Sprache schildert der Autor und Kabarettist Bov Bjerg die wilden und melancholischen Erlebnisse der ungleichen Truppe, folgt aber auch einfühlsam den Gedanken Höppners, ungeordnet, witzig, traurig, wie das Leben selbst. Feline Mansch
Verlag www.blumenbar.de im Aufbau-Verlag, 280 S., 18 €, 13,99 € als E-Book