Ausgabe 06/2015
Das Ende der Duldsamkeit
Sollte die Klinik ihre Forderungen nicht umsetzen, springen sie nicht mehr ein, wenn sie frei haben
Wegen des chronischen Personalmangels hängt der Krankenhausbetrieb von einer Vielzahl freiwilliger Leistungen der Beschäftigten ab. Durch ihre immer wieder geforderte Bereitschaft, Dienste zu tauschen oder unter Verlust der Freizeit einzuspringen, kompensieren die Beschäftigten den Personalmangel. Sie verzichten auf Arbeitnehmerrechte, die in jeder anderen Branche selbstverständlich sind. Was viele nicht bedenken: Solange die Pflegenden es hinnehmen, jede weitere Verschlechterung durch noch mehr persönlichen Einsatz kompensieren zu müssen und auf Rechte zu verzichten, solange wird sich nichts an der desaströsen Situation ändern. Im Gegenteil. Der Pflegeberuf wird immer unattraktiver.
Die meisten Pflegenden machen ihre Arbeit aus Überzeugung. Doch auch wer seinen Beruf liebt, nimmt nicht alle Verhältnisse unwidersprochen hin. Und schaut der eigenen Profession nicht auf ihrem Weg in den Abgrund zu.
"Love it? Change it!" Jetzt!
In ganz Deutschland stellen Pflegekräfte ihren Arbeitgebern derzeit Ultimaten. Von der Charité in Berlin über mehrere Kliniken im Saarland bis hin zu den Kliniken Stuttgart und Ludwigsburg - die Pflegekräfte erwachen aus der Duldsamkeit. Selbstbewusst stellen sie konkrete Forderungen an die Klinikleitungen. Werden diese nicht erfüllt, reduziert die Kollegenschaft freiwillige Leistungen.
ver.di hat in der Region Stuttgart mit den "Pflegeultimaten" bereits gute Erfahrungen gemacht. Auch in den Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim sind die Auswirkungen der aktuellen Unterfinanzierung von Krankenhäusern und der Personalmangel längst spürbar. Eine steigende Zahl an Überlastungsanzeigen, Überstunden, keine planbare Freizeit, Arbeiten ohne Pause gehören zunehmend zum Arbeitsalltag. Durch ein Ultimatum konnte die Station 1B in Bietigheim in diesem Jahr jedoch die Zahl der Betten reduzieren und damit die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte deutlich senken.
Die 1B macht Schule im ganzen Land
Der Erfolg der Station 1B wurde zum Vorbild für andere überlastete Abteilungen. So fordert jetzt die Station 2M in Ludwigsburg eine bessere Schichtbesetzung und eine zweite Nachtwache. Eine Bettenreduzierung ließ sich bereits durchsetzen, da diese aber nicht auf Dauer garantiert wird, machen die Beschäftigten seit dem 1. August Dienst nach Vorschrift. Jetzt gehen die Verhandlungen weiter.
Mit den fünf Intensiv- und einer IMC-Station des Krankenhauses der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart hat sich erstmals ein ganzer Fachbereich der Pflege gemeinsam für diesen Weg entschieden. Im Vorlauf gab es Überlastungsanzeigen und ein Schreiben an die Geschäftsführung, das 177 Beschäftigte unterzeichnet hatten. Eine spürbare Verbesserung blieb jedoch aus.
Jetzt fordern die Beschäftigten gemeinsam mit ver.di die Einhaltung der von der Fachgesellschaft für Intensivmedizin empfohlenen Besetzung von 1:2 beziehungsweise 1:3 Pflegekräften für den IMC-Bereich. Sie wollen überdies eine Prämie für das Einspringen aus der Freizeit heraus und einen angemessenen Überstundenzuschlag, der ihnen in dem tariflosen Haus bislang vorenthalten wird. Zudem knüpfen sie diese Forderungen an ein Ultimatum: Sollte die Klinikleitung bis zum 1. Oktober den Mitarbeitern nicht entgegengekommen sein, werden diese ihre Telefonnummern löschen lassen und nicht mehr aus der Freizeit einspringen.
Den Gesetzen des Marktes ausgesetzt
Ist das verantwortungslos? Nein, das ist das Ende der Aufopferung und eine Absage an ein Gesundheitssystem, das auf Kosten von Patienten und Pflegekräften den Gesetzen des Marktes ausgesetzt wurde.