Das Alter, das Leben und die Liebe

Ewige Jugend

Zwei alte Männer relaxen im Schwimmbad, eine nackte Schönheit taucht ins Wasser und betört sie. Wenn sich da mal keine Altherrenphantasie anbahnt! Aber keine Sorge, Paolo Sorrentinos trefflich besetztes Senioren-Drama ergeht sich weit weniger in Pornografie als vielmehr in nachdenklichen Betrachtungen über das Alter, das Leben und die Liebe.

Ein nobles Schweizer Kurhotel à la Thomas Manns "Zauberberg" bildet die malerische Kulisse für die Begegnung zweier berühmter Künstler Ende 70. Fred, einst Komponist und Dirigent, hat seine aktive Karriere beendet und sperrt sich dagegen, seine "Simple Songs" noch einmal für die Queen aufzuführen, wiewohl ein Abgesandter des Buckingham Palastes ihm bis in die Alpen gefolgt ist, um ihn dazu zu überreden. Er sucht die Ruhe. Dagegen plant der ehrgeizige Mick als Altmeister der Filmkunst ein letztes Werk, das sein Oeuvre krönen soll.

Die langjährigen Freunde plaudern über verflossene Liebschaften, die erwachsenen Kinder, die sie auf ihrer Reise begleiten und deren Ehe gerade zerbricht, und über leidige Dinge wie Prostata-Probleme. Aber ungetrübt bleibt ihr Aufenthalt nicht. Fred muss sich von seiner Tochter sagen lassen, dass er ein schlechter Vater gewesen sei, weil er nur für die Musik und seine Karriere gelebt habe. Mick holt sich für sein Projekt von seiner Lieblingsschauspielerin einen Korb, sie hält ihm vor, er würde als alter Mann nichts mehr begreifen.

Sorrentino spielt die Jugend jedoch nicht gegen das Alter aus, gibt sich vielmehr mit schlichten Sinnbildern unaufdringlich weise. Blicken die Jungen auf das Leben wie durch ein Fernrohr, erscheint ihnen alles nah und greifbar. Den Alten dagegen kommt es vor, als schauten sie von der anderen Seite durchs Fernrohr, alles liegt weit zurück, verflüchtigt sich in unerreichbare Distanz. Vielleicht deshalb tragen Michael Caine und Harvey Keitel auch große, auffällige Brillen. Aber was sie durch die dicken Gläser sehen, sind bisweilen auch Zerrbilder, etwa ein Kuhglocken-Konzert auf der Alm. Und schon allein der skurrilen Nebenfiguren wegen empfiehlt sich Ewige Jugend als eine liebevolle Reflektion, in der auch der Humor nicht zu kurz kommt. Ob der massiv übergewichtige, Tennisbälle in die Luft kickende Diego Maradona mit Karl-Marx-Tätowierung auf dem Rücken, die Adolf-Hitler-Karikatur oder eine herrlich hysterische Jane Fonda als undankbare Diva - der geniale Fellini hätte an ihnen allen seine Freude. Kirsten Liese

I/F/GB/CH 2015. R: PAOLO SORRENTINO. D: MICHAEL CAINE, HARVEY KEITEL, RACHEL WEISZ, JANE FONDA. 118 MIN. KINOSTART: 26. November 15


Das Brandneue Testament

Gott lebt in Brüssel und ist ein fürchterlicher Griesgram, der, wenn er nicht gerade seine Familie tyrannisiert, seine Zeit damit zubringt, sich zu betrinken und sich größere und kleinere Gemeinheiten für die Menschheit auszudenken. Eines Tages wird das seiner 10- jährigen Tochter allerdings zu viel und sie beschließt, es ihrem Bruder J.C. gleichzutun, also zu fliehen, sich ihre eigenen Apostel (u.a. Catherine Deneuve) zu suchen und deren Geschichte zu erzählen, als das "Brandneue Testament". Aus Rache zerstört sie auch gleich das göttliche Computersystem und schickt jedem Menschen seinen exakten Todeszeitpunkt. Mit einem treuen Gefährten sucht sie nun ihre Apostel auf und dokumentiert, wie sich ihr Leben verändert, seitdem sie wissen, wieviel Zeit ihnen noch bleibt. Währenddessen begibt sich Vater Gott auf die Suche nach ihr, wobei er sämtliche seiner selbsterdachten Schikanen nun selbst durchleben muss. Leichtfüßig und lustig, phantasievoll bis surreal, ganz in französischer Manier, wirft dieser köstliche Film die Frage auf, wie wir unser Leben gestalten würden, wäre uns bewusster, wie begrenzt es doch ist. Feline Mansch

F/BE/LU, R: JACO VON DORMAEL; D: BENOIT POELVOORDE, YOLANDE MOREAU, CATHERINE DENEUVE, 105 MIN., KINOSTART: 3.12.15


Mia Madre

Hemmungslos prügeln Polizisten hinter Plexiglasschildern auf Demonstranten ein. Wasserwerfer drängen brutal in die Menge. Plötzlich ertönt aus dem Hintergrund eine laute Stimme. "Stopp, Stopp, Basta", schreit Regisseurin Margherita (Margherita Buy). Gestresst bricht sie den Dreh über den Arbeitskampf in einer Fabrik ab. Seit ihre Mutter (Giulia Lazzarini) im Krankenhaus ist, liegen ihre Nerven blank. Verzweifelt versucht sie, die aufreibenden Dreharbeiten mit regelmäßigen Besuchen im Krankenhaus zu verbinden. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Giovanni (Nanni Moretti), der sich rührend kümmert, gelingt es ihr kaum. Zudem entfernt sich ihre heranwachsende Tochter mehr und mehr von ihr. Von Schuldgefühlen geplagt, stellt die Geschiedene ihr Leben in Frage. Stets gehen bei Nanni Moretti, dem großen Autobiographen des italienischen Kinos, Trauer und Komik ineinander über. In seiner feinfühligen Hommage an seine Mutter verknüpft der Humanist unaufgeregt tiefsinnige Gedanken mit absurden Details des Alltags. Weder melodramatisch noch banal bestechen seine Bilder durch klassizistische Klarheit. Hinzu kommt der Kniff des selbstironischen Regisseurs, seine eigene Rolle an eine Frau zu übertragen. Dabei gelingen ihm generationsübergreifend unsentimentale Frauenporträts. Luitgard Koch

ITALIEN, FRANKREICH 2015 R: NANNI MORETTI, D: MARGHARITA BUY, BEATRICE MANCINI, JOHN TURTURRO, NANNI MORETTI, 106 MIN., KINOSTART: 19.11.15


Sture Böcke

Zwei ältere Brüder können auf jahrhundertelange Schafzuchterfolge in der Bauernprovinz von Island zurückschauen und auf eine fast lebenslange Fehde dank Geschwistereifersucht mit Erbfolgestreit. Das bescheidene Dasein dieser beiden Schaf-Farmer und Nachbarn Kiddi und Gummi sowie ihrer Handvoll Kollegen im Tal zerfällt, als eine Tierseuche ausbricht. Die Behörden verlangen, als Präventivschlag sämtliche Schafe zu schlachten und die Zucht zu stoppen, "nur für zwei Jahre", de facto die Geschäftsaufgabe. Mit dieser Prämisse ergründet Drehbuchautor und Regisseur Grímur Hakonarson, Jahrgang 1977, traditionelle Genügsamkeiten oder individuelle Sturheiten seiner Mitbürger. Und die Nachbarschaftlichkeit, die in einem Land mit gefährlichen Wintereinbrüchen über jede Feindschaft und jedes Bürokratenproblem triumphiert. Wenn dann die tot gemeldeten Schafe froh aus Gummis Keller blöken, müssen auch die Brüder ihr Schweigen brechen, um die geliebten Einnahmequellen ein zweites Mal zu retten. Keine Komödie, sondern so streng wie schön. Jutta Vahrson

IS/DK 2015, R: GRÍMUR HAKONARSON. D: SIGURDUR SIGURJÓNSSON, THEODÓR JÚLÍUSSON, CHARLOTTE BÖVING, 93 MIN., KINOSTART: 19.11.15