Endlich was tun

Sie wollen die Mächtigen stürzen? Das System in seinen Grundfesten erschüttern? Den Kapitalismus in die Schranken weisen? Die Welt zu einem besseren Ort machen? Dem Guten, Schönen, Wahren zu seinem Recht verhelfen? Kurz: Sie wollen endlich was tun? Da hätten wir die passende Gebrauchsanleitung für Sie: Beautiful Trouble heißt das Buch, ein, so verspricht es der Untertitel, Handbuch für eine unwiderstehliche Revolution.

Das Schlagwort Revolution führt allerdings erst einmal in die Irre. Der Umsturz, den die beiden Herausgeber Andrew Boyd und Dave Oswald Mitchell propagieren, ist weit entfernt von den traditionellen, meist mit Gewalt verbundenen Beispielen aus der Menschheitsgeschichte. Boyd, der mit den im Grenzbereich zwischen Politik und Kabarett agierenden Billionaires for Bush bekannt wurde, und der vor allem als Autor aktive Mitchell stellen ausschließlich gewaltlose Aktionen vor und wollen vor allem aufzeigen, welche Methoden politischen Aktivisten zur Verfügung stehen, um auch in Zeiten von Massenmedien und Digitalisierung ihre Anliegen erfolgreich vorzubringen. Kurz zusammengefasst: Barrikaden bringen heutzutage nichts mehr, aber ein Flashmob womöglich schon.

Für Beautiful Trouble haben Boyd und Mitchell andere Aktivisten gebeten, Beiträge zu schreiben. Systematisch listen sie nun "Taktiken", "Prinzipien", "Theorien" und "Fallbeispiele" des Widerstands auf. Das reicht von klassischen Methoden wie dem Generalstreik bis zur "Prophetischen Intervention", von relativ simplen Ratschlägen ("Delegiere" oder "Gewinne Verbündete") über praktische Tipps ("Zieh Dich nicht an wie ein Demonstrant") bis zu eher schrägen Hinweisen ("Jede/r hat Eier/stöcke aus Stahl") und Empfehlungen ("Benutz den Jedi-Trick").

Man merkt schnell, dass Boyd, Mitchell und ihre fürs Buch aktivierten Mitstreiter wie die Yes Men oder The Other 98% in der Tradition der Spaß-Guerilla stehen. Der Theorie-Teil dagegen ist eher übersichtlich und bleibt an der Oberfläche. Umso eindringlicher vertreten sie ihre Hauptthese: Das eigene Anliegen muss nicht nur gerechtfertigt sein, man braucht vor allem Fantasie und Humor, um dieses Anliegen durchzusetzen. Oder doch wenigstens zu Gehör zu bringen.

Dass die Erfolge überschaubar bleiben angesichts des Durchmarsches des Neoliberalismus, dass bereits gescheiterte Bewegungen wie Occupy hier noch einmal gefeiert werden, ficht die Autoren nicht an. Beautiful Trouble soll eben nicht nur simpler Handlungsfaden sein, sondern vor allem Mut machen, einen Anfang zu wagen. Denn Revolution ist ein großes Wort, aber sie beginnt im Kleinen. Thomas Winkler

Andrew Boyd, Dave Oswald Mitchell (Hg.), Beautiful Trouble - Handbuch für eine unwiderstehliche Revolution, Orange Press, 240 Seiten, 20 €, E-Book ca. 9,49 €


Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter

Eine literarische Sensation: Ein verschollenes Manuskript - nach mehr als einem halben Jahrhundert entdeckt -, das den Weltbestseller Wer die Nachtigall stört (in deutscher Neuübersetzung erschienen) weitererzählt. Zwischen den 30er und den 50er Jahren sehen wir das wilde Mädchen Scout aufwachsen und zu einer selbst- bewussten Frau reifen. Schauplatz ist Alabama, tief im Süden der USA. Bereits der Kindheit im kleinstädtischen Idyll werden unterschwellig die krassen sozialen Verwerfungen gegenübergestellt. Infolge der Diskriminierung der farbigen Bevölkerung entwickelt sich die Bürgerrechtsbewegung, und die weiße Mehrheit ist zunehmend verun-sichert. Im Wächter kommt Scout aus New York zurück in die alte Heimat. Und muss sich entscheiden. Ist das noch ihre Welt, in der sie eine Familie gründen könnte? Oder geht sie ihren eigenen Weg weiter? Es ist eine Geschichte von Desillusion und Emanzipation, bei der auch der liebevolle Vater - Held ihrer Jugend - in ein neues Licht rückt. Ein zeitloses Thema, leise erzählt und trotzdem spannend. Tina Spessert

DVA, Ü: U.Wasel, K. Timmermann, 320 S., 19,99 €


Leonhard F. Seidl: Viecher

Wer nach der Lektüre des dritten Krimis von Leonhard F. Seidl immer noch Fleisch aus Massentierhaltung isst, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Sicherlich ist diese Wirkung im Sinne des mehrfach ausgezeichneten Autors. Erfreulicherweise vermittelt der im Isental bei München, dem Schauplatz seines Romans, aufgewachsene Seidl seine explizite Botschaft zwar durchaus lehrreich, aber vergnüglich und spannend im Stile eines Roadmovies, das aus bayerischen Dorfidyllen, die natürlich keine sind, bis nach Tunesien führt. Seinen Privatdetektiv und Kommissarssohn Freddie Deichsler mit originellen, zunächst etwas verwirrenden Familien- und Liebesverhältnissen auszustatten und ihn dann in eine temporeiche Ermittlung im Bauernmilieu zu schicken, bei der man den Mist, in dem der zweifache Vater dauernd watet, förmlich riecht, ist originell und witzig und kommt trotz sehr komischer Slapstick-Szenen ganz ohne die derzeit üblichen Albernheiten in Dorf- krimis aus. Nicht nur der Mist stinkt in diesem Fall zum Himmel, sondern auch die glaubwürdig dargestellte Verstrickung von Politik und Justiz in grausame Tiertransporte. Da werden zudem Bauernhöfe gezielt in den Ruin getrieben, um Golfplätzen und Startbahnen Platz zu machen, und wer die lukrativen Kreise stört, wird ermordet. Auch der sympathische Deichsler bleibt auf seiner Mördersuche mit Eisenbahn, Flugzeug, Auto und Fahrrad alles andere als unversehrt, wird aber zweifelsohne auch seinen vierten Fall bewältigen können. Ulla Lessmann

EMONS Verlag, 255 S., 9,90 €


Willy Vlautin: Die Freien

Sie werden erdrückt von ihren Sorgen, Schmerzen und Traumata. Die Figuren in Willy Vlautins viertem Roman leben am Rand der US-Gesellschaft und sind doch ganz normale Bürger. Mit Jobs, die nicht genug Geld zum Überleben bringen. Mit Schulden, die nie mehr getilgt werden können. Mit Krankheiten, die von den Versicherungen nicht abgedeckt werden. Wie leben Menschen, die zu wenig zum Leben haben? Dieser Frage spürt Vlautin wie ein Sozialarbeiter nach. Er porträtiert einen jungen verletzten Irak-Veteranen, eine überforderte Krankenschwester und einen verschuldeten Familienvater. Leroy, Pauline und Freddie: drei Menschen, die von der Gesellschaft allein gelassen werden. Vlautin ist ein Meister darin, den Alltag dieser Amerikaner authentisch und bewegend, ohne Verklärung oder Dramatisierung zu dokumentieren. Der 48-Jährige, der auch in einer Folkrockband singt, überzeugt als stiller Chronist der versteckten Armut und Verzweiflung in den USA. Seinen perspektivlosen Protagonisten erfüllt Vlautin zwar keine Wünsche, gibt ihnen aber immerhin eine Stimme. Günter Keil

Berlin Verlag, Ü: Robin Detje, Berlin Verlag, 320 Seiten, € 16,99