Sex Sells

Auch die Wissenschaft muss sehen, wo sie bleibt, will sie gehört werden. Zwar stellen viele beim Thema Klimawandel längst schon wieder auf Durchzug, weil inzwischen ja spürbar ist, dass es immer wärmer wird. Aber Forscher wären ja nicht Forscher, würden sie nicht auch noch der letzten Frage auf den Grund gehen. So haben dieser Tage anlässlich des Klimagipfels in Paris Wirtschaftswissenschaftler des National Bureau of Economic Research in New York ob der steigenden Temperaturen vor dem Rückgang der "koitalen Frequenz" gewarnt. Was soviel heißen soll, dass die Menschen durch den Klimawandel weniger Sex haben. Und das habe Folgen: Die hohen Temperaturen senken die Geburtenraten, vor allem in den hochindustrialisierten Gesellschaften, was wiederum umlagefinanzierte Rentensysteme gefährde. Dafür haben die Ökonomen die Geburtenziffern und Temperaturen der vergangenen 80 Jahre betrachtet und daraus geschlossen, dass Tageshöchsttemperaturen von über 27 Grad Celsius zu einem spürbaren Rückgang der Geburten führen. Leider haben sich die forschen Forscher nicht gefragt, warum Indien, ein mittlerweile auch hochindustrialisiertes Land mit Durchschnittstemperaturen über 27 Grad in vielen Landstrichen das ganze Jahr über, alsbald das bevölkerungsreichste Land der Erde sein wird? Und warum China, auch weitestgehend industrialisiert und teilweise sehr heiß, den Babyboom nur durch die Ein-Kind-Politik drosseln konnte? Dieser Teil des Erdballs interessierte nicht wirklich. Er könnte ja das Ergebnis beeinträchtigen. Auch dass sich viele Menschen immer häufiger fragen, wie sie eine Familie finanzieren sollen, wenn die Löhne nicht mehr steigen, sondern teils sogar sinken, also ganz im Gegensatz zu den Temperaturen, spielte keine Rolle in den ökonomischen Parametern der Untersuchung. Die Wissenschaftler glauben gar, dass der Einfluss des Klimawandels auf die Fortpflanzung seit den 1970er Jahren noch größer gewesen wäre, hätten Klimaanlagen nicht Abhilfe geschaffen. Dass letztere auch nicht gut fürs Klima sind, stellt die Menschheit aber wieder einmal vor ein klassisches Dilemma: Sex ohne Aircondition ist besser fürs Klima, ohne Luftkühlung ab 27 Grad Celsius ist der Höhepunkt - zumindest in unseren Horizontalgraden, so prophezeien die Forscher - leider nicht mehr erreichbar. Da hilft wohl nur Anpassung, von den anderen lernen. Sich - um auf Indien zurückzukommen - vielleicht dem Kamasutra widmen, dem uralten Buch der Liebhaber/innen der Leidenschaften. Das kann fruchten.

Petra Welzel